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Die Schere zwischen Arm und Reich

Nachdem ich dieses Video gesehen habe bin ich schon ins Grübeln gekommen. Robert Reich ist sicherlich ein Linker, nach US-Maßstäben sogar extrem links wie Bernie Sanders. Für mich ist das schon ein wenig kompliziert. Auf der einen Seite habe ich sicherlich auch "linke" Ansichten, auf der anderen Seite bin ich auch selbstständiger Unternehmer - wenn auch wegen der jüngsten Entwicklungen jetzt nur noch Solo-Selbständiger - und deshalb betreffen mich beide Seiten der Medaille.

Was in dem Video sehr gut vermittelt wird ist die Differenzierung zwischen Einkommen und Vermögen und wie sich eben die Vermögen von alleine vermehren und dazu führen dass sich vor allem in den USA eine Art Quasi-Aristokratie weniger superreicher Familien herausbildet in denen die Vermögen immer weiter vererbt werden und die durch ihr Vermögen die Politik maßgeblich zu ihren Gunsten beeinflussen können. Dazu kommt noch die Einkommensschere, wonach die Top-Verdiener leicht das hundertfache der Geringverdiener kassieren können, was es wiederum leicht macht Vermögen aufzubauen. Wer den Gehaltsscheck schon am Ende des Monats verbraucht hat der hat überhaupt keine Chance ein Vermögen aufzubauen.

Soweit, so gut. Ich bin auch voll der Meinung, dass es nicht sein kann dass jemand der am Schreibtisch sitzt ein vielfaches von demjenigen verdient der noch "richtig was arbeitet" und sich die Hände schmutzig macht. Ich mache aktuell beides und ich sehe da keinen Unterschied, das Handwerk ist für mich tendentiell sogar anspruchsvoller weil einmal zu kurz abgesägt ist zu kurz während es am Schreibtisch noch viel mehr Möglichkeiten gibt Fehler zu korrigieren. Zumindest für mich ist Handwerk auch psychisch anspruchsvoller da man die Arbeit der Reihenfolge nach machen muss und sich nicht nach der Konzentrationsfähigkeit aussuchen kann was man macht.

Auf der anderen Seite hatte ich ja sechs Angestellte und dabei auch noch eine gewisse Fluktuation und dadurch habe ich doch einige Menschen in ihrem Arbeitsumfeld beobachten können. Leider ist diese Auswahl etwas einseitig weil trotz ständiger Bemühungen nie jemand aus der "Spitzengruppe" der Angestellten gewonnen werden konnte. Und damit meine ich Kreativität, Verantwortung, Einsatz und Sorgfalt. Und damit wird es kompliziert.

Ich werde jetzt sicherlich hier nicht meine Einkommens- und Vermögensverhältnisse offenlegen, ich bin zwar augenscheinlich sehr offen aber irgendwo gibt es ja eine Grenze. Meine "Karriere" war jedenfalls sehr gradlinig: Abitur, dann die 13 Monate Zivildienst, dann zwei Jahre Lehre als Einzelhandelskaufmann. Danach zurück in den Familienbetrieb. Das System sah dann so aus dass ich als "Angestellter" nur den Tariflohn als Verkäufer bekommen habe, ohne Provision und irgendwas. 2014 wurde mir dann die Firma übertragen, was aber auf meine Arbeit keinen Einfluss hatte, vorher wie nachher gab es für mich den gleichen Einsatz, nur mit wachsendem Alter und Erfahrung wurde auch die Verantwortung mehr.

Worauf will ich hinaus? Es macht zwar Sinn und ist gerecht, die Schere zwischen hohen und niedrigen Einkommen zu schließen. Aber auf der anderen Seite müssen sich diese vier Eigenschaften (Kreativität, Verantwortung, Einsatz und Sorgfalt) auch lohnen, sonst macht das niemand. Ein Beispiel: 2003 habe ich (damals 26 Jahre) mit meinem Vater zusammen den Verkauf alleine gemacht. Durch sein höheres Alter und seine Persönlichkeit hatte er die bessere Erfolgsquote, also hat er mehr Verkaufsgespräche gemacht und ich habe im Akkord daraus die Angebote in den Computer gehauen. Natürlich sechs bis sieben Tage die Woche und ohne festen Feierabend, das war und ist immer so gewesen. Eben wie der Bedarf es verlangt hat. Interessant ist dann der Effekt, den unser erster angestellte Verkäufer hatte: Der Umsatz ist nur um 10% gestiegen und das Geschäftsergebnis hat sich nicht verändert. Auch als wir dann zwei Verkäufer hatten - es macht keinen Unterschied, gleicher Umsatz, gleicher Gewinn.

Daraus kann man mehrere Schlüsse ziehen: Ein Angestellter, der "Dienst nach Vorschrift" macht, kommt in Sachen Ertrag eben nie auch nur annähernd an einen selbstständigen Unternehmer heran. Und deshalb ist das auch meiner Meinung nach vollkommen in Ordnung wenn er dann beim Einkommen eben auch nicht annähernd so viel bekommt wie dieser. Sicherlich gibt es da auch Spitzenleute die eben mehr Einsatz bringen und auch aus den Aufträgen mehr Profit herausholen aber wir hatten eben niemals das Glück so jemanden zu bekommen. Stattdessen wurden die Regeln immer weiter aufgeweicht, so gab es ursprünglich mal einen Mindestumsatz und erst darüber hinaus eine Provision, das wurde dann aber den Verkäufern zuliebe abgeschafft. Und was Verantwortung betrifft: Als Verkäufer kann man einfach sagen man nimmt einen neuen Kunden nicht an weil man gefühlt zu viel zu tun hat. Als Inhaber macht man das einfach nicht.

Mit der Arbeit ist das wie bei allen nach oben geschlossenen Systemen: zuerst sind Steigerungen noch relativ leicht, nach oben hin wird es immer schwerer. Irgendwo zwischen 80 und 100 Stunden pro Woche ist einfach Schluss, mehr geht nicht. Und aus dem gleichen Grund sollten sich die zweiten 40 Stunden pro Woche auch mehr lohnen als die ersten weil man dafür eben viel, viel mehr Opfer bringen muss. Bezogen auf die Jahresarbeitszeit ist das ja ähnlich, es muss einfach einen Unterschied geben ob man nun sechs Wochen bezahlten Urlaub im Jahr hat oder eben null und nur ab und zu die Sonntage freinimmt. Ich habe kürzlich noch eine Unterhaltung meines Nachbarn mit einer Passantin mitbekommen, er ist Hausmeister an der Schule und da ging es um irgendwas organisatorisches in den Ferien - sein Kommentar: "ich habe Urlaub, mir ist das alles völlig egal". Eine solche Einstellung ist für einen Unternehmer undenkbar, man hat nie richtig Urlaub und ist immer erreichbar wenn etwas dringendes anfällt. Eben weil ein Unternehmen wie ein Tamagotchi ist: man muss sich ständig darum kümmern und tun was es verlangt, sonst wird es krank und geht kaputt. Das ist Einsatz und Verantwortung.

Indirekt stellt sich daraus natürlich auch die Frage, warum man Arbeitsplätze schafft wenn es nichts bringt. Volkswirtschaftlich betrachtet muss es sich für den Unternehmer also auch lohnen mehr Menschen zu beschäftigen sonst funktioniert das System nicht. Das führt also zwangsweise dazu dass das Einkommen des Unternehmers umso höher sein muss umso mehr Menschen er beschäftigt, die Schere ist also zu einem gewissen Teil systembedingt. Es sei denn man gründet eine Genossenschaft, dann müssen aber alle Genossen gleich viel Einsatz und Verantwortung übernehmen was in der Praxis auch nicht funktioniert.

Mit dem Einsatz geht das ja noch viel weiter: Wie einfach ist es als Angestellter sich einfach krankschreiben zu lassen wenn man keine Lust hat. Während Corona reichte dafür ja sogar schon ein Anruf. Als Unternehmer hat man den Luxus nicht. Als meine Ausstellung zum letzten Mal umgebaut wurde habe ich mir zuerst das Knie an der Hobelbank angeschlagen dass ich kaum laufen konnte. Dann ist mir beim Abriss auch noch eine Stellwand draufgefallen und ich habe mir das andere Knie beim Möbeltransport mit der Sackkarre verdreht. Die Party geht aber weiter, mehr als eine Stunde kühlen war nicht drin. Der Schmerz lässt zwar dann nach wenn man auf den Knien herumrutscht und Boden legt, aber gut ist das nicht. Ich hatte aber keine andere Wahl - wenn ich es nicht mache, macht es keiner, der ganze Zeitplan krepiert mit unabsehbaren wirtschaftlichen Folgen. Das ist eben die Kombination aus Verantwortung und Einsatz die sich eben auch auszahlen muss. Es ist halt ein Unterschied ob ich meine Webseite mitsamt Bildern von einer Werbeagentur machen lasse oder eben die Stunden mehr arbeite und alles selbst mache, natürlich habe ich dann mehr in der Tasche.

Und wenn wir zum Vermögen kommen: Man darf ja nicht vergessen, dass zumindest die Einzelunternehmer immer mit ihrem ganzen Vermögen für das Unternehmen haften. Die Rente ist deshalb eben nicht sicher. Macht man spät im Berufsleben Insolvenz dann steht man mit heruntergelassener Hose da und muss von Hartz IV leben. Deshalb ist es ja zwangsweise so dass man im Berufsleben so viel Vermögen erwirtschaften muss dass dieses eben genug "Rente" abwirft wenn es soweit ist. Dieser Mechanismus ist ja komplett anderes als bei der staatlichen Alterssicherung die ja über eine Umlage funktioniert - die Arbeitnehmer bezahlen die Rentner, hier gibt es keinen Zuwachs durch ein angespartes Vermögen und man kann es den Unternehmern nicht übelnehmen wenn ihnen die Vermögensvariante lieber ist weil die Rendite auf das Vermögen eben viel besser ist als die Rendite auf die eingezahlten Rentenbeiträge - vorausgesetzt alles läuft glatt. Auch das ist eben ein fundamentales Systemproblem, das man mit der Riester-Rente angehen wollte was aber im Endeffekt auch im Sande verlaufen ist.

Meine Idee wäre es ja, eine Art Renten-Sperrkonto anzulegen, ein Vermögen was für die Alterssicherung bestimmt und auch vor Insolvenz geschützt ist und demnach auch nicht der Vermögenssteuer unterliegt, es muss natürlich auf einen bestimmten Einzahlungsbetrag gedeckelt werden. Bei allem Vermögen was darüber hinausgeht gibt es ja keinen Grund es nicht einer Vermögenssteuer zu unterwerfen.

Und es gibt auch noch das fundamentale Problem wie man mit Sparsamkeit umgehen soll. Es gibt Menschen die das Geld einfach so ausgeben wie es hereinkommt. Mein Hilfsmonteur war so ein Fall, er war ständig Pleite und brauchte Vorschüsse. Mal war es die Geldstrafe die wir vorgestreckt haben damit er nicht in Ersatzhaft genommen wurde, dann war es das Geld für ein neues Motorrad weil das erste aus irgendwelchen dubiosen Quellen schon nach 10 Kilometern einen kapitalen Motorschaden hatte. Auf der anderen Seite war aber immer Geld genug für Zigaretten da und auch für Runden mit besagtem Motorrad auf dem Nürburgring. Und bei entsprechendem Fahrstil mussten auch dauernd neue Reifen gekauft werden. Und wenn man dann noch wegen alter Schulden eine Lohnpfändung hat und noch ein unterhaltspflichtiges Kind produziert hat - dann kann das Geld nicht reichen auch wenn man den Tariflohn für einen Schreinergesellen bekommt wenn man eigentlich gar nicht mal diese Qualifikation hat.

Auf der anderen Seite kann man eben auch sparsam sein. Ich habe immer noch mein Galaxy S5 das ich über Rebuy gebraucht gekauft habe. Warum das neueste Handy haben wenn das alte noch funktioniert? Kein Alkohol und keine Zigaretten, spart auch Zeit, Geld und schont die Gesundheit. Mit den Autos ist es dasselbe: solange es sich rechnet, also die Reparaturen nicht zu teuer werden ist es viel günstiger ein altes Auto weiterzufahren als ein neues zu kaufen was in den ersten Jahren den größten Wertverlust hat. Die Selbstkasteiung ging sogar so weit dass ich mir auf einem Ausflug im Sommer eben kein Eis gekauft habe weil ich zu sparsam war. Aber wie geht man volkswirtschaftlich damit um? Bestraft man die Sparsamen indem man das zurückgelegte Vermögen besteuert? Das Video hat recht: jeder gesparte Euro vervielfältigt sich, die Schere klafft immer weiter auseinander. Aber was ist sozial gerecht?

Dann haben wir die Kreativität. Wirtschaftlich bedeutet das vor allem die Ideen zu haben mit denen sich am Besten Geld machen lässt. Oder eben das Produkt verbessern. Manche Menschen haben diese Eigenschaft, manche sehen nicht über den Status Quo hinaus. Wie geht man damit um?

Die Sorgfalt kommt in der Diskussion auch zu kurz. Mein Lieblingsbeispiel dieser Tage ist der Bodenleger der zeitgleich mit uns in der Apotheke gearbeitet hat. Fußleisten auf Gehrung geschnitten mit 5 mm breiten Lücken. Ich weiß nicht worin das Problem liegt, meine Hilfsarbeiter waren ähnlich schlecht bei den Fußleisten in meiner Ausstellung. Ich habe auch genug Fußleisten geschnitten und was ich mache passt press. Dauert natürlich länger weil man tendentiell etwas länger schneidet und dann nachschneiden muss, aber es geht - wenn man eben sorgfältig arbeitet. Dafür muss man es aber wollen und sich auch die Zeit dafür nehmen. Ich weiß auch nicht welche menschliche Einstellung dem zugrundeliegt warum bei manchen Menschen die Ergebnisse tadellos sind und bei anderen ist es halt so gut wie es gerade ist. Jemand hat es mal treffend mit "Werkstolz" bezeichnet.

Vergessen habe ich vielleicht noch den Faktor Effizienz: Einer meiner Verkäufer war unter anderem deshalb so furchtbar langsam weil er die Installationspläne von Grund auf per Hand gezeichnet hat. Mein Vater und ich haben einfach die fertigen Zeichnungen aus dem Planungsprogramm genommen, mit Tip-Ex Platz gemacht und die Installationssymbole einzeichnet und bemaßt. Ist viel schneller und fehlersicherer. Der Verkäufer war aber nicht davon zu überzeugen und wäre womöglich gegangen wenn wir ihn gezwungen hätten. Natürlich hatte er deswegen weniger Umsatz und damit auch weniger Provision weil er mit der Arbeit nicht hinterherkam.

Kurz gesagt: wenn ich jemanden gefunden hätte der das gleiche Maß an Verantwortungsbereitschaft, Einsatz, Sorgfalt, Kreativität und Effektivität gebracht hätte wie ich hätte ich auch kein Problem gehabt, den Ertrag 50:50 zu teilen. Dann natürlich auch mit dem Risiko dass es nix gibt wenn es ein richtig mieses Jahr gibt. Meine Erfahrung aus meiner Stichprobe ist aber, dass viele Menschen davor zurückscheuen und lieber einen einfachen Job haben mit wenig Risiko, dann aber auch weniger herumkommt.

Und bleibt noch der Fall Erbschaft: Mein Plan sah ja vor, dass die neu gemachte Ausstellung zehn Jahre Ertrag abwerfen sollte und damit bei entsprechender Sparsamkeit die Rente weitgehend gesichert gewesen wäre. Dann hätte man schauen müssen ob meine Gesundheit (die Knie!) noch einen Umbau mitmacht oder nicht. Dazu kam es ja dann nicht. Dafür habe ich aber die Möglichkeit von meinen Eltern als Vorbesitzer der Firma irgendwann zu erben. Mein Bruder bekommt das Vermögen ohne etwas dafür gemacht zu haben, im Gegenteil wurde ihm noch ein Studium bezahlt und jetzt noch der Kindergarten für die Enkel. Ich habe immerhin 15 Jahre zu einem relativ viel zu geringen Lohn für die Firma ebendieser Eltern gearbeitet und bekäme damit etwas davon zurück. Das ist auch nicht einfach zu beurteilen.

Die Crux liegt also darin dass ein Teil der Schere unvermeidbar ist, weil eben bestimmte Eigenschaften honoriert werden müssen ohne die das System nicht funktioniert. Auf der anderen Seite sollte es auch so sein dass wenn man diese Eigenschaften hat (oder zumindest die meisten davon) aber nur auf der falschen Seite der Schere ist dass es eben trotzdem honoriert werden sollte. Vielleicht ist der im Video gezeigte Ansatz, dass dass das Ungleichgewicht einer Meritokratie in Ordnung ist und nur die Tendenz zur Aristokratie bekämpft werden sollte ja ein ganz brauchbarer Kompromiss.

Auf der anderen Seite sollte man aber nicht zu tief graben was Menschen ohne diese Eigenschaften betrifft. Die Diskussion führt da sehr schnell auf sehr dünnes Eis.

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