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Eines Dr. jur. unwürdig

Im Trierischen Volksfreund war ein großer Artikel über das neue Buch das unser Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier geschrieben hat. Im Tenor versucht das Buch aus den Händen des Bundespräsidenten dem Volk klarzumachen, dass das Verständnis der Bürger zum Staat doch bitte positiver gesehen werden sollte, dass ein Staat nur das Instrument des Willens des Volkes und damit etwas positives ist.

Bei solchen Worten rollen sich mir die Fußnägel hoch. Bei einem Laien geht das ja noch, es gibt nicht viele Menschen die sich mit dem juristischen Verhältnis zwischen Bürgern und Staat befasst haben. Auf der einen Seite ist das ganz einfach: der Bürger hat Pflichten, und bei Missachtung dieser Pflichten gibt es Bußgelder, Geld- oder gar Freiheitsstrafen. Einmal zu schnell gefahren reicht. Auf der anderen Seite heißt das Zauberwort "Staatshaftungsrecht" und das ist in Deutschland ein sehr unrühmliches Kapitel. Und als Doktor der Juristerei sollte man das wissen. Wenn man anderes behauptet ist das doch nur sülzige Schönfärberei. Also war wieder ein "Brief der nie beantwortet werden wird" fällig. Bald habe ich alle wichtigen Persönlichkeiten durch ...

Sehr geehrter Herr Bundespräsident Steinmeier,

in meiner Tageszeitung wurden Zitate aus Ihrem Buch abgedruckt und ich bin über Ihre völlige Ignoranz der Rechtslage und Rechtsprechung in Deutschland entsetzt - es ist für einen Dr. jur. völlig unwürdig.

Der Staat sei nichts "Fremdes oder gar Feindliches, sondern als Ausdruck des gemeinsamen Bemühens aller" zu verstehen. Nichts könnte ferner der Wahrheit sein. Als Jurist muss Ihnen der §839 BGB bekannt sein und welch fatale Folgen dieser für die Staatshaftung und damit für das Verhältnis von Bürger zu Staat hat. Deutschland hat außer diesem unrühmlichen Gummi-Teflonparagraphen kein Staatshaftungsrecht. Folglich ist der Bürger immer dem Staat zum Gehorsam verpflichtet, andersherum gilt dies jedoch nicht und die laufende Rechtsprechung (oder was überhaupt vor Gericht landet) fördert dies noch zusätzlich.

Deutlicher wird dies durch einige Beispiele. Im Juli 2021 geschah das verheerende Hochwasser, unter anderem im Bereich des Landkreises Ahrweiler mit 134 Toten. Der verantwortliche Landrat Jürgen Pföhler hat hier komplett versagt. Wären die Warnungen der meteorologischen und hydrologischen Dienste befolgt worden, hätten zumindest die Menschenleben gerettet werden können. Jedoch hat die Staatsanwaltschaft jetzt nach über drei Jahren Ermittlungen das Verfahren eingestellt. Dahinter steht ein Muster: wäre der Landrat wegen Pflichtverletzung verurteilt worden, dann hätte §839 BGB tatsächlich ausnahmsweise gegriffen (der eingebaute Nachrang ist aus Staatssicht äußerst praktisch, es gibt sonst immer die Möglichkeit "auf andere Weise Ersatz zu verlangen") und die Betroffenen hätten ausnahmsweise ein Recht gegenüber dem Staat gehabt. Das wurde aber praktischerweise verhindert. Es gibt zwar die Unwetterhilfen, hier ist der Bürger aber wieder nur Bittsteller, dem vom Staat gnädigerweise eine Hilfe zuteil wird. Ein völlig anderes Rechtsverhältnis, nichts von wegen "gemeinsamem Bemühen".

Und dieses Missverhältnis zwischen Staat und Bürger hat Methode. Es gibt Ämter für Katastrophenschutz, der Bürger entrichtet Steuern für diesen Katastrophenschutz, wird aber dann nicht vor den Katastrophen geschützt. Es hätten zum Beispiel keine Baugenehmigungen in den Überflutungsgebieten erteilt werden dürfen oder die Vorgaben hätten Vorkehrungen für ein solches Hochwasser treffen müssen - nach 1804 und 1910 war diese Möglichkeit ja bekannt. Die Landräte haben im Katastrophenfall weitreichende Vollmachten, aber eine Verpflichtung ist dies anscheinend nicht. Herr Pföhler hat einfach die Befehlsgewalt abgegeben und ist nach Hause gefahren. De facto wurde er sogar dafür belohnt, bei vollen Bezügen muss er nicht mehr arbeiten.

Oder nehmen wir den Fall Andreas Scheuer: dieser hat (wieder nicht juristisch) über 200 Millionen Euro den Bürgern gehörendes Vermögen veruntreut ("die Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt und dadurch dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat, Nachteil zufügt"), indem er trotz eines laufenden Verfahrens beim EuGH die Verträge mit den Mautbetreibern unterzeichnet hat. Auch hier ist es nicht einmal zu einer Anklage gekommen.

Ganz anders wäre dies wenn irgendein Bürger dem Staat 200 Millionen Euro an Steuern vorenthalten würde - das würde zu 100% in einer mehrjährigen Gefängnisstrafe enden.

Nein, es gibt hier keine "Gemeinsamkeit" zwischen Bürgern und Amtsträgern. Weitere Fälle aus meiner Region: vor zwei Jahren kam es zu einem Handgemenge zwischen Polizisten und Bürgern im Verlauf einer Gartenparty. Der Bürger wurde wegen tätlichen Angriffs auf die Beamten angeklagt und konnte nur dank einer Handyaufnahme seine Unschuld beweisen - die Aggression ging in Wirklichkeit von der Polizei aus. Und §201 StGB wurde auch schon bemüht solche Aufnahmen zu verbieten, damit der Bürger seine Unschuld gar nicht legal beweisen kann. Wurden die Polizisten angeklagt? Natürlich nicht. In einem weiteren Fall existiert ebenfalls eine Videoaufnahme, wo Polizisten vor drei Jahren nach einer Verfolgungsjagd den Fahrer aus dem Fahrzeug zerren und misshandeln. Natürlich ist auch hier nichts passiert.

Der Europäische Gerichtshof hat zwar grundsätzlich entschieden, dass der Bürger einen Anspruch auf Staatshaftung hat, aber wenn man sich die dazugehörigen nationalen Fälle ansieht dann fällt ein interessantes Muster auf: nirgendwo hat der Kläger tatsächlich einen Schadenersatz zugesprochen bekommen. Es hat sich immer irgendetwas anderes gefunden (zum Beispiel Verjährung im Fall Brasserie Pecheur) so dass es am Ende de facto keine Staatshaftung gab. Ist das Zufall? Es wäre sehr unwahrscheinlich.

Der Bürger hat auch kaum Möglichkeiten zur Normenkontrolle. Wenn die Bundesrepublik Deutschland eine EU-Richtlinie in nationales Recht umsetzt und dabei gegen die Europäischen Verträge verstößt hat der Bürger überhaupt keine Möglichkeit dagegen vorzugehen wenn er nur Teil einer Gruppe ist die davon betroffen ist. Die direkte Klage beim EuGH scheidet wegen mangelnder direkter Betroffenheit aus und eine Klage gegen die Bundesrepublik kann von den Gerichten lange vorher (wegen o.g. anderen juristischen Auswegen) abgewiesen werden bevor der Fall dem EuGH überhaupt vorgelegt wird. Wenn man seinen Schaden nicht beweisen kann weil besagte Umsetzung es extra so vorgesehen hat dass der Schaden für den Bürger zwar real existent, aber nicht genau bezifferbar ist hat der Bürger dann eben Pech gehabt und der EuGH bleibt eine Fata Morgana am Horizont. Sehr praktisch ist hier dann auch BGH III ZR 42/92 das so ausgelegt wird dass es grundsätzlich keine Staatshaftung gibt wenn die EU irgendwie beteiligt ist. Auch wenn der EuGH das anders sieht "wenn die Verantwortung geteilt ist", das spielt für deutsche Gerichte keine Rolle.

Dieses fundamentale Ungleichgewicht reicht bis in den Alltag: bei jeder Autofahrt muss der Bürger äußerste Vorsicht walten lassen, denn schon unachtsame Überschreitungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit werden schnell bestraft, teilweise sogar automatisch. Wie wäre es denn mit einer ähnlichen automatischen Bestrafung des Beamten- und Verwaltungsapparats bei Unterscheitung einer prompten Bearbeitungsgeschwindigkeit? Brief an die Behörde nicht innerhalb einer Woche beantwortet - 100€ Ordnungsgeld gegen den Verantwortlichen. Als Steuergutschrift für den Betroffenen. Aber das gibt es nicht und wird es nie geben.

Vor dem Licht dieser ganzen Fälle kann es dem Bürger nun wirklich nicht übelgenommen werden wenn er den Staat (Exekutive, Legislative und Judikative) tatsächlich als ihm feindselig gesinnte Gesamtinstitution wahrnimmt die sich - natürlich inoffiziell - gegenseitig schützt. Aus Eigeninteresse wird auch keine Regierung die Regelungen für die Staatshaftung und die Haftung von Amtsträgern verschärfen, da besteht parteiübergreifend überhaupt kein Interesse, so etwas wird niemals in einem Koalitionsvertrag stehen. Es wäre Ihre Aufgabe als Bundespräsident hier überparteilich eine Initiative anzustoßen, ihr moralisches Gewicht in die Waagschale zu werfen mit dem Ziel ihre Worte tatsächlich zur Realität werden zu lassen und Bürger und Staat endlich rechtlich auf eine Ebene zu stellen, dass der Staat genauso einklagbare Verpflichtungen dem Bürger gegenüber hat wie anders herum. Und die Amtsträger genauso (oder wegen ihrer Vorbildfunktion sogar noch in gehobenem Maße) für ihre Handlungen haftbar zu machen wie das bei Bürgern der Fall wäre.

Erst dann macht ihr Buch überhaupt Sinn. In der derzeitigen Situation ist es nur Hohn. Ludwig XIV. war wenigstens ehrlich als er "l'État est moi" gesagt hat und daran hat sich nichts wesentliches geändert, das Verhältnis von Bürgern und Staat ist immer noch dasselbe, die Strukturen heißen nur anders.

Mit freundlichen Grüßen
Stephan Brunker

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