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Die amerikanische Linke

Seitdem es das Internet und Youtube gibt und ich trotz meiner eklatanten Schwäche in Fremdsprachen in der Schule dann über englischsprachige Literatur fließend Englisch gelernt habe verfolge ich die US-Medien genauer. Die Republikaner sind so weit nach rechts gerückt dass sie das Äquivalent der AfD sind, ein Höcke und Trump geben sich da nicht viel. Die Demokraten sind in der Mehrheit irgendwo wie die CDU - aus Sicht Trumps natürlich schon "Kommunisten". Der linke Rand der Demokraten ist insofern ganz interessant als dass sich da Personen wie Bernie Sanders oder Alexandria Occasio-Cortez finden, die aus deutscher Sicht so etwas wie Sozialdemokraten sind. Und das US-Sozialsystem hätte das auch bitter nötig.

Leider hat sich meine Begeisterung für diese ansonsten wirklich tollen Politiker deutlich getrübt, nachdem beide öffentlich davon gesprochen haben dass Israel im Gazastreifen "Unschuldige" töten würden. Das Problem dabei ist nur, dass es nicht so einfach ist, und noch komplexer wird es wenn man die Geschichte (und die US-Geschichte im speziellen) mit einbezieht. Ich habe also aus der Reihe "Briefe die nie beantwortet werden" einen schönen Brief an Bernie Sanders geschrieben. Hier die Übersetzung:

Sehr geehrter Herr Sanders,

Da ich nicht aus den USA komme, bezweifle ich, dass ich eine Antwort erhalten werde, aber weil ich Sie sehr geschätzt habe und dies durch eine Ihrer Positionen stark getrübt wurde, werde ich trotzdem schreiben.

Sie haben erklärt, dass Israel im aktuellen Gaza-Konflikt „Unschuldige tötet“. Diese Aussage ist einfach zu stark vereinfacht und auch inkonsistent in Bezug auf die Geschichte, insbesondere die Geschichte der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten im Zweiten Weltkrieg.

Es besteht kein Zweifel, dass in Gaza Zivilisten sterben, die sich nicht an feindseligen Aktionen gegen israelische Streitkräfte beteiligt haben. Aber macht es sie unschuldig? Das ist eine sehr schwierige Frage.

Gaza ist keine Demokratie mehr, aber bei den letzten Wahlen gewann die Hamas mit großem Vorsprung und genießt breite Unterstützung in der Bevölkerung. Dieser Krieg wäre am ersten Tag vorbei gewesen, wenn die Bevölkerung die Hamas-Führer an Israel ausgeliefert hätte.

Diese Unterstützung übersteigt höchstwahrscheinlich die Unterstützung, die die deutsche Führung von 1939 bis 1945 in der Bevölkerung genoss, wobei 1933 nur 44 % der Stimmen an die NSDAP gingen. Und Japan hatte nie die Chance, für seinen Kaiser zu stimmen.

Dennoch gaben die USA nie zu, dass sie in Hiroshima, Nagasaki oder Dresden Unschuldige töteten. Als ich das Problem stattdessen in einem Youtube-Kommentar postete, wurde es mit drei Argumenten gerechtfertigt: „Sie haben uns zuerst angegriffen“, „In diesen Städten gab es Militäranlagen“ und „Sonst wären viele unserer Soldaten gestorben.“ Alles gilt auch für Gaza. Mit dem Unterschied, dass Israel viel mehr vom Krankenhauses in Gaza stehen gelassen hat als das heutige Denkmal in Hiroshima, und ich würde bezweifeln, dass sich darunter ein ausgedehntes militärisches Tunnelnetz befand.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass meine Urgroßeltern, die am 23. Dezember 1944 durch einen US-Bombenabwurf ums Leben kamen, unschuldig waren. Ich bezweifle sehr, dass sie überhaupt für die NSDAP gestimmt haben. Es ist also Heuchelei, mit dem Finger auf jemanden zu zeigen, wenn man noch Dreck vor der eigenen Türe hat. Und das nicht nur aufgrund jahrzehntelang zurückliegender Aktionen, auch in den beiden Irak-Kriegen gab es fragwürdige Aktionen der US-Streitkräfte, die nie kritisch diskutiert wurden. Und Whistleblower, die der Öffentlichkeit diese fragwürdigen Taten mitgeteilt haben, werden strafrechtlich verfolgt. Und Vietnam und viele andere Kriege ... während die deutschen politischen und militärischen Führer zum Tode oder Gefängnis verurteilt wurden, errichteten die Gewinner ein Denkmal für Sir Arthur Harris, der zumindest ein Verbündeter war.

Es ist völlig in Ordnung, dass Sie Ihren derzeitigen Verbündeten auf das Schicksal von Zivilisten hinweisen, aber seien Sie dann bitte so konsequent, dass Sie auch eine Diskussion über die nie strafrechtlich verfolgten Kriegsverbrechen Ihres eigenen Landes und Ihrer politischen Führung beginnen. Oder Sie akzeptieren, dass die Grenze zwischen Schuld und Unschuld in einem Land, das einen Krieg begonnen hat, sehr verschwommen ist.

Grüße,
Stephan Brunker

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