Zusammenbruch eines Regierungssystems
Etwas was sich noch niemand genauer angesehen hat ist der Zusammenhang von Persönlichkeitstypen und wie sich diese auf die Gesellschaft auswirken - in diesem Fall unsere Wahldemokratie. Wenn man nach der Studie von Hammer und Mitchell geht, ist die Zusammensetzung der Gesellschaft nach Persönlichkeitstypen in etwa wie folgt:
Dadurch dass man die Persönlichkeit an der Körpersprache erkennen kann lässt sich aber recht einfach auch nachträglich die Persönlichkeit von wichtigen Politikern bestimmen - und da kommt eine völlig andere Zusammensetzung heraus. So sind von den neun Deutschen Bundeskanzlern seit 1948 sieben INTJ/ENTJ (die Unterscheidung von I/E nach Körpersprache ist nicht so zuverlässig). Das kann kein Zufall sein, gegeben dass der Anteil beider Typen an der Gesamtbevölkerung nur so ungefähr 4% beträgt. Bei den US-Präsidenten sieht das nicht viel anders aus, nach den NTJ kommen NTP (Truman, Carter), NFJ (Kennedy, Obama) und STJ (Brandt, Kohl, Trump, George W. Bush).
Die Wahldemokratie wurde ja 1770 in den USA begründet - und schon damals hatte es einen Hintergedanken - der Bürger hat zwar die Wahl, aber zur Wahl steht eben nicht jeder, sondern eine kleine Gruppe von Berufspolitikern. Das wird in dem Moment wichtig wenn man die inhärente Gefahr einer Herrschaft der Mehrheit - Ochlokratie - sieht. Die Demokratie ist weit mehr als die simple Tatsache dass derjenige an der Macht ist der die Stimmenmehrheit bei der Wahl erhalten hat. Wenn man den Rest über Bord wirft wird daraus sehr leicht eine Diktatur der Mehrheit. Die Gesellschaft ist eben vielschichtig - siehe die obige Grafik - und es gibt damit eine Reihe von Minderheiten, die sehr unterschiedlich denkt und handelt als die große Mehrheit. Aber eben auch deshalb die Motoren des Fortschritts in Kunst und Kultur (NF), Wissenschaft und Wirtschaft (NT) sind. Und ohne entsprechenden Schutz und vor allem Rücksichtnahme ist es sehr verlockend diese einfach unter die Räder kommen zu lassen.
Damit das nicht geschieht gibt es zum einen die in der Verfassung garantierten Grundrechte, und zum anderen eben Menschen an der Macht die vorausschauend denken und am Gemeinwohl (also der Gesamtbevölkerung) interessiert sind - eben tendenziell NJ-Typen. Deren Introverted Intuition kann ja sehr gut mit "Perspektive" beschrieben werden und ist damit schon per Definition mehr in die Zukunft orientiert als Introverted Sensing ("Erinnerung") der SJ-Typen. Das hat so auch lange Zeit gut funktioniert, denn ohne Rücksichtnahme aus der Exekutive wäre es für die Randgruppen sehr schwer gewesen sich zu behaupten und zu prosperieren - die Judikative bleibt zwar als letzter Rettungsanker, aber es war immer schon sehr schwer für den Einzelnen seine Rechte gegen den Staat als ganzes durchzusetzen.
Ein weiterer Faktor der durch die Perception-Funktion bestimmt wird ist die Art und Weise wie Wissen aufgenommen wird. Gerade Perspektive ist extrem hungrig nach Wissen, muss es auch sein um die Zukunft gut vorhersagen zu können. Das führt dazu dass dafür sehr viele Quellen herangezogen werden - sowohl eigene Erfahrung, aber eben auch Wissen was nur aus zweiter Hand weitergegeben wird - dann aber soweit wie möglich geprüft und getestet wird bevor es angewendet wird. Bei Erinnerung ist das völlig anders, dort steht das selbst Erlebte klar im Vordergrund und es passiert häufig dass ein SJ einem NJ vorwirft: "Du kannst das gar nicht wissen wie das wirklich ist weil Du es nicht selbst erlebt hast". Ist es das wirklich? Wenn der NJ nicht auf einen, sondern auf die Erfahrungsberichte verschiedener Personen zurückgreift um zu seinem Ergebnis zu kommen ist das mindestens so zuverlässig. Und fatal wird das dann im Falle der Impfgegner die nicht mehr alt genug sind um die verheerenden Schäden miterlebt zu haben die zum Beispiel Kinderlähmung noch in den 50er Jahren verursacht hat. Jemand für den solche Geschichten auch aus Büchern genauso real sind hat deshalb eine ganz andere Position als ein Impfgegner der ohne eigene Erfahrung nur emotional dagegen aufgehetzt wird.
Das ist was sich aber in den letzten Jahrzehnten fundamental geändert hat: der Aufstieg der Populisten, der Niedergang des Wissens und die Radikalisierung der politischen Landschaft. Vor allem in den USA wo es ja aufgrund der Mehrheitswahl nur zwei große Parteien gibt haben diese jahrzehntelang überparteiliche Kompromisse gefunden. Angefangen mit Ronald Reagan ist diese Kompromissbereitschaft aber immer mehr erodiert und wir haben jetzt eine völlige Blockade.
Gleichzeitig haben auch die Populisten in vielen Ländern stark hinzugewonnen oder gar die Macht übernommen. Und diese halten schon per Definition nichts von Rücksichtnahme und Randgruppen sondern stützen sich auf die große Mehrheit der SJ- und SP-Typen. Auch ein Teil ihrer Anführer gehört dieser Gruppe an (Donald Trump - ESTJ, Viktor Orban ESFP), der andere Teil sind egoistische NJ die ihre Basis rücksichtslos instrumentalisieren. Witzigerweise haben diese mit einem Teil ihrer Argumentation schon recht: "die da oben" gibt es ja wirklich, nur haben diese ihren Job ja nicht wirklich schlecht gemacht. Für die Populisten steht hingegen nicht die langfristige Perspektive im Fokus, sondern der kurzfristige Protest und das eigene Wohlergehen. Und damit die von der Mehrheit unterstützten Änderungen zulasten der Minderheiten nicht von der lästigen Judikative ausgebremst werden sägen alle Populisten grundsätzlich gerne am Rechtssystem, egal ob das in Polen, Ungarn oder der Türkei ist. Umso dramatischer sind die jüngsten Entwicklungen in den USA, wo sich das Rechtssystem gar nicht mal vom Druck der Populisten, sondern von alleine zerlegt. Alle Entscheidungen laufen darauf hinaus, Donald Trump eben nicht der Kontrolle durch die Justiz zu unterwerfen sondern durch entsprechende Verzögerung die Entscheidung dem Wähler zu überlassen. Und das ist - siehe oben - grundfalsch und ein Schritt zur Selbstzerstörung des Systems. Die Mehrheit darf eben nicht das letzte Wort haben, sondern die Verfassung deren Väter sich etwas dabei gedacht haben.
Ja, man kann im Prinzip schon sagen dass die NJ-Typen die Bevölkerungsmehrheit jahrhundertelang an der Nase herumgeführt haben. Aber haben sie das so schlecht gemacht? Schon von ihrem Denkprinzip geht es ja darum, dass irgendwann am Ende eine Verbesserung herauskommt und das hat ja auch meistens funktioniert, sonst hätten wir den jetzigen Wohlstand ja gar nicht. Was jetzt passiert ist das Gegenteil, siehe Atomausstieg in Deutschland. Klar, die Sorgen der Bevölkerung nach den Unfällen von Tschernobyl und Fukushima kann man nicht beseitewischen. Aber deshalb gleich alles abschalten? Das war eine populistische Sofortmaßnahme von Angela Merkel (auch INTJ) und langfristig völliger Blödsinn, denn ohne Atomenergie ist es völlig unmöglich den CO2-Ausstoß herunterzufahren. Eine weise Entscheidung wäre gewesen, aus den Unfällen zu lernen und die Vorschriften so zu gestalten dass diese sich nicht wiederholen können. Was schon vorher in Deutschland nicht möglich gewesen wäre. Und eben an der Weiterentwicklung der nächsten Generation Reaktoren zu arbeiten.
Stattdessen wurde eine rationale, langfristige Sachentscheidung aus politischen Gründen (Machterhalt) zu einer populistischen und jeder kann sehen wohin das letztendlich geführt hat: die Energiekosten steigen und steigen und der Wirtschaftsstandort Deutschland wird dadurch immer unattraktiver. Subventionen sind reine Augenwischerei, so ein Staatshaushalt ist ja kein unerschöpfliches Füllhorn, das Geld dafür muss ja irgendwo anders wieder herkommen. Das heißt, das wir nicht nur einen Zielkonflikt zwischen den NJs und dem Rest der Bevölkerung haben, sondern die NJs teilen sich auch in zwei Gruppen: diejenigen die ihren eigenen Vorteil zum Wohle der Gesellschaft hintenanstellen und diejenigen die ihre Fähigkeiten egoistisch zum eigenen Vorteil nutzen. Gerhard Schröders Sternstunde war es, die Hartz IV-Reformen durchgezogen zu haben, wohl wissend dass es ihn das Kanzleramt kosten würde. Die verschiedenen Kehrtwenden von Merkel und der Versuch das Amt des Bundespräsidenten als Müllschlucker für politische Rivalen zu missbrauchen waren die Tiefpunkte von Merkel.
Früher hätte man sich vielleicht darauf verlassen können dass die Wähler dieses Spiel durchschauen und richtiges Verhalten belohnen. Die Populisten haben es aber geschafft diesen Mechanismus zu durchbrechen und die Diskussion in ein "wir oder sie" zu polarisieren - angewandte Psychologie mit fatalen Folgen. Die Mehrheit ist von der Denkstruktur gar nicht in der Lage zu sehen wo die Entscheidungen jetzt das Gesamtsystem langfristig hinführen, dazu kommt noch dass man dafür auch sich das nötige Wissen aneignen muss um diese Vorhersagen treffen zu können. Wenn man ihnen aber die Entscheidung abnimmt und auf etwas polarisiert was kurzfristige Auswirkungen hat - damit gewinnt man Wahlen, zerstört aber langfristig das System.
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