Ein Amt, aber keine Ahnung
Ein Teil des Fluchs ein INTJ zu sein liegt darin, Wissen aufzusaugen wie ein Schwamm. Und das fing schon in der Schule an und natürlich ist man schon da entweder ein Streber oder Besserwisser, jedenfalls genießt man kein hohes Ansehen. Es sei denn zu speziellen Gelegenheiten, ich glaube meine Klasse hat sich mal für 1-2 oder 3 beworben und da wäre ich die Geheimwaffe gewesen.
Es ist nur grauenhaft anzusehen wie Politiker und sonstige öffentliche Akteure mit Einfluss genau das Gegenteil demonstrieren, dass sie nämlich von der Vergangenheit überhaupt keinen blassen Schimmer haben und deshalb Behauptungen in die Welt setzen die im besten Fall nur nervig sind. Im schlimmsten Fall, wenn genügend Menschen das glauben ...
Ganz brandaktuell Sigrid Kaag, die UN-Koordinatorin für die humanitäre Hilfe im Gazastreifen. Die USA wollen einen schwimmenden, provisorischen Hafen vor der Küste errichten und Hilfsgüter per Schiff anliefern. Frau Kaag hält gar nichts davon und behauptet, dass "Hilfe auf dem Seeweg kein Ersatz für Lieferungen auf dem Landweg sind und niemand kann etwas anderes behaupten". Wirklich? Frau Kaag hat von Logistik und Geschichte offensichtlich überhaupt keine Ahnung und auch niemanden in ihrem Stab der so eine blatante Zurschaustellung von Nichtwissen noch rechtzeitig abgebogen hätte bevor es die Medien erreicht hätte.
Wir schreiben das Jahr 1944, Operation Overlord, das größte amphibische Landungsunternehmen der Geschichte. Wie jeder inzwischen wissen sollte, werden Kriege zu einem guten Teil über die Logistik entschieden. Und die Alliierten waren sich nicht sicher, ob sie die Häfen in der Bretagne rechtzeitig und und unzerstört erobern können (sechs Jahre später sind sie in Incheon direkt im Hafen gelandet). Also haben sie sich vorbereitet und gleich zwei provisorische Häfen mitgebracht, Mulberry A und B. Die Vorläufer der Anlage die jetzt vor Gaza errichtet werden soll. Es war auch gut dass sie zwei hatten, denn einer wurde gleich zu Anfang von einem Sturm zerstört. Mulberry B war dann drei Monate in Benutzung und in diesem Zeitraum wurden 628.000 Tonnen Material, 40.000 Fahrzeuge und 200.000 Mann darüber entladen. Nicht leistungsfähig? Solche Mengen wären über die Straße gar nicht zu transportieren gewesen.
Warum richtigen die Huhti-Rebellen im Roten Meer derzeit so einen Schaden an? Und warum verschifft die Ukraine trotz des Risikos durch Russland ihr Getreide über das schwarze Meer? Weil sich Güter in solch großen Mengen gar nicht anders bewegen lassen als per Schiff. An Nummer zwei ständen dann leistungsfähige Eisenbahnverbindungen, aber der Gazastreifen hatte nie einen Bahnanschluss, die Hedschasbahn von 1914 ging nur einspurig bis Nablus, auf Schmalspur und mit maximal 30 km/h.
Es ist also eine jämmerliche Zurschaustellung von Nichtwissen durch handelnde politische Akteure, aber das hat man ständig.
Dazu passt auch die ganze Munitionskrise in der Ukraine. Eine genauso große Darstellung von Unwissen und vorsätzlich zögerlichem Handeln. Die EU ist mit ihrem Plan, innerhalb eines Jahres eine Million Schuss zu liefern ja jämmerlich gescheitert (gebraucht wird mindestens die doppelte Menge). Wir leben heute in einer Zeit von CNC-gesteuerten Fertigungsmaschinen und einer gewaltigen Industriekapazität. Drehen wir die Zeit zurück in das Jahr 1916, also das zweite Jahr des ersten Weltkriegs. Es gab damals genau dasselbe Problem: in der Vorkriegszeit gab es nur eine völlig unzureichende Produktionskapazität, die Vorräte waren an der Marne 1914 bereits erschöpft und niemand hat mit einem derartigen Verbrauch gerechnet.
Nur das es alleine Frankreich in den zwei Jahren geschafft hat, neben den Soldaten für die Front auch noch genügend Kräfte abzustellen um 80 Millionen (!!!) Schuss im Jahr herzustellen. Und zur EU gehören ja noch Deutschland, Österreich, Ungarn und Italien (und Großbritannien können wir auch noch dazuzählen) die ähnliche Mengen produziert haben. Und die USA auch in der zweiten Hälfte des Kriegs. Selbst wenn man davon ausgeht das damals die meisten Geschosse Kaliber 75 mm waren und nicht 155 wie heute ist der Verbrauch der Ukraine dagegen lächerlich. Zumal die Granaten alle per Hand auf Drehbänken hergestellt wurden.
Wenn es also nicht möglich ist innerhalb eines Jahres das zu liefern was Europa vor über hundert Jahren in zwei Tagen hergestellt und verfeuert hat (850 Millionen in vier Jahren Krieg) dann ist das jämmerlich, kurzsichtig, unfähig ... und es war ja absehbar. Ben Hodges, der ehemalige US-Oberkommandeur für Europa hat es so schön gesagt: der ganze Krieg ist ein Musterbeispiel für "failed deterrence".
Geschichte kann einem so viel beibringen wenn man denn nur aus den Fehlern und den Erfahrungen der Vergangenheit lernen würde. Was damals ging muss heute doch mindestens genauso gut gehen, es sei denn wir haben Rückschritt statt Fortschritt. Aber das setzt eben voraus dass man überhaupt ein Interesse daran hat zu lernen. Und danach sieht es leider nicht aus. Und als INTJ der das eben alles weiß und die Zusammenhänge erkennt steht man derartig im Abseits und niemand hört einem zu, entweder weil man es nicht will oder weil diejenigen die es nicht wissen eben einfach populärer sind.
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