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Harter Kontakt mit der Realität

Es ist jetzt ja ein Jahr her dass ich mehr oder weniger aus einer Laune heraus angefangen habe Schlagzeug zu lernen. Und innerhalb von zwei Wochen hatte ich jetzt zwei denkwürdige Erlebnisse in diesem Zusammenhang. Ich wusste dass mein Onkel so vor vierzig Jahren ebenfalls Schlagzeug in mehreren Bands gespielt hat, aber bisher hatte ich ihm mein neues Hobby und mein Schlagzeug vor ihm geheim gehalten. Nicht das das schwer gewesen wäre, aufgrund von gesundheitlichen Problemen geht er praktisch nicht mehr aus dem Haus. Ich habe lange hin und her überlegt und mich dann doch dazu entschieden, in der Hoffnung vielleicht ein paar positive Erlebnisse daraus zu bekommen, ein paar Tipps vielleicht.

Es kam natürlich ganz anders.

Ich habe ihm zuerst mein Schlagzeug gezeigt (ein gutes elektronisches) und die Vorteile die man damit hat, wie zu jeder Zeit üben zu können ohne ein Lärmproblem zu haben. Und das die guten Pads schon sehr nah an den Fähigkeiten eines akustischen liegen. An seiner ersten Bemerkung hätte ich mir schon denken können was dann kommt "das kommt an eine echte Hihat aber nicht heran". Jedenfalls habe ich ihm dann verschiedenes vorgespielt wie ich normalerweise übe, also über einen Song im Hintergrund drüber spielen. Ich war natürlich aufgeregt und habe meine Sticks mehrfach durch die Gegend geschleudert (eigentlich ein gutes Zeichen sie locker zu halten). Und ihn hat wahrscheinlich als erstes gestört dass ich nach Noten spiele. "Du bist so verkrampft, du hast kein Gefühl dafür". Die Tirade war ziemlich schrecklich. Auch seine Empfehlung: "spiele nach einfach so zu den alten Songs wie den Beatles" war nicht sonderlich brauchbar. Auf meinen Einwand dass ich ja gerade erst ein Jahr lang spiele - "nach einem Jahr war ich viel besser".

Ich habe bestimmt zwei Tage gebraucht bis ich das verarbeitet habe. Das Problem bei INTJs ist, dass sie zwar bei den von ihnen gewählten Zielen sehr stur sein können - was man macht ist schließlich eine Bauchentscheidung und damit von Introverted Feeling dominiert - aber auf dem Weg dahin (Extroverted Thinking) sich eigentlich sehr unsicher sind und deshalb ständig an sich zweifeln und der Rat von Personen die sie wertschätzen sehr viel ausmacht. Und beides ist in dem Fall heftig kollidiert: das Ziel, irgendwann gut Schlagzeug spielen zu können (ich habe mir da Ghost Love Score von Nightwish als Ziel gesetzt) und die Meinung meines Onkels den ich als Schlagzeuger geachtet habe und demnach ich dafür überhaupt kein Talent habe und das Kit am besten aus dem Fenster werfen sollte.

Das hat ungefähr in dieselbe Kerbe geschlagen wie der Dozent beim Jazzworkshop nach dem ich nicht zählen könnte. Also was tun? Ein Teil der Lösung konnte ich mittels Technik liefern - ich bin sicherlich blind für gewisse Abweichungen von den Beats, aber wie viel - und wie viel ist normal?

Also einfach einen stinknormalen Moneybeat ohne Metronom für ein paar Takte gespielt (120er Tempo) und aufgenommen und im Editor herangezoomt. Fakt Nummer eins: obwohl einige Zeit zwischen dem Einzählen und dem Start meiner Aufnahme lag habe ich das 120er Tempo genau getroffen, über die Zeit wurde ich aber etwas schneller, auf 126 oder so. Das ist an sich aber nicht weiter schlimm. Wichtiger sind die Abweichungen der einzelnen Schläge von den Beats und da kam ich auf irgendwas zwischen 1/32 und 1/64 eines Ticks, das ist etwa eine Hundertstelsekunde wo es um den Schlag herumeiert. Das höre ich auch selbst nicht, größere Abweichungen höre ich dann auch (mal probehalber einen Schlag etwas verschoben). Das ist also das Maß meiner eigenen Rhythmusblindheit. Aber was ist jetzt "normal"? Also mal einfach eine Liveaufnahme von AC/DC und Phil Rudd mitgeschnitten (ich wusste von der Transkription dass er nicht mit Click spielt), eine Passage genommen wo Schlagzeug mehr oder weniger solo spielt und dieselbe Analyse gemacht. Und: Phil Rudd ist genauso um 1/32 bis 1/64 Tick blind (auf der Aufnahme von Highway to Hell sogar noch viel mehr). So schlecht kann ich also nicht sein.

Mein Schluss war es also die Meinung meines Onkels zu verwerfen, so schwer mir das auch gefallen ist. Er ist wahrscheinlich nur noch ein alter Grantler, der aufgrund seiner eigenen Situation (er konnte nun wirklich gar nicht mehr spielen als er es probiert hat) nur noch böse auf die Welt ist und anderen die Freude nicht gönnt. Was auch erklärt warum er seinen ständigen Kreuzzug gegen die wöchentlichen Konzerte auf dem Markplatz im Sommer geführt hat von wegen Punkt 22 Uhr ist Nachtruhe und bis dahin müssen die Schallgrenzwerte eingehalten werden. Obwohl er eine Straße weiter weg wohnt. Und es schließlich geschafft hat dass die Konzerte in den Stadtpark verlegt wurden und der Marktplatz jetzt ganz tot ist.

Jedenfalls übe ich weiter. Meine Überlegung ist diese: indem man die Songs genau nachspielt ist man automatisch auch gezwungen die Fills und die Technik dafür zu lernen. Das mag zwar am Anfang etwas holprig sein, aber ich arbeite ja schließlich auf langfristigen Erfolg. Wie beim Autofahren: irgendwann wird das dann automatisch, man kann dann ohne nachzudenken spielen - und dann auch die schwierigen Sachen. Ich habe dann zwar eines berücksichtigt - in längeren einfachen Passagen mache ich dann tatsächlich die Augen zu und spiele nach Gefühl, konzentriere mich auf die Musik. Und zumindest nach meiner subjektiven Erfahrung habe ich da in dem Jahr schon deutliche Fortschritte gemacht und ich weiß ja selbst was noch nicht so richtig klappt. Die Geschwindigkeit im rechten Fuß zum Beispiel (ich hassliebe Sweet Home Alabama).

Meine Versuche eine Band zu finden um tatsächlich mit anderen Musikern live zu spielen waren bislang ja nicht von Erfolg gekrönt, das ist dann nochmal etwas anderes als zu einem starren Backingtrack zu spielen. Wie sehr man sich da beeinflusst kenne ich ja noch aus meiner Organistenzeit mit den Kirchenliedern - man hört ja schließlich ob die Gemeinde auch mitkommt und passt sich da entsprechend an (es sei denn man ist Domorganist, da spielt man stur durch, egal ob wer mitsingt oder nicht).

Von der Musikersuche weiß ich aber dass es in Bitburg eine Coverrockband gibt, so ziemlich die einzige im Landkreis. Und die war jetzt am Freitag hier beim musikalischen Sommer zu Gast, natürlich musste ich mir das anhören.

Und das war mein zweiter harter Kontakt mit der Realität. Ihre Songlist hat sich zwar nicht ganz so mit meiner überschnitten wie ich das gewünscht habe (witzigerweise waren die Songs die in den Pausen liefen da sehr viel näher dran), aber es waren schon ein paar dabei mit denen ich inzwischen per Du bin. Und die Zweifel dass ich das als Schlagzeuger hinbekäme dürften sich verflüchtigt haben. Ich frage mich inzwischen warum ich mir die Mühe mache einen Song genau zu covern wenn man mehr oder weniger auch was völlig anderes spielen kann. Das ist der Fluch des Gehörtrainings was ein Nebeneffekt davon ist möglichst genaue Transkriptionen zu erstellen. Das fängt schon beim Kit an - wenn man Heavy Metal wie Rock You Like a Hurricane spielt muss man eigentlich vier große, fette Toms haben. Anscheinend reichen auch drei höher gestimmte. Und auf meine Frage während der Pause warum: "nicht so viel zu schleppen". Die nächste Erkenntnis folgt auf dem Fuß: ich würde sofort mit meinem E-Kit spielen - es hat den unschätzbaren Vorteil, dass man den Klang passend zum Song wählen kann. Für einen poppigeren Song der 2000er braucht man einfach einen anderen Sound als für Hard Rock der 70er. Und wenn die Bands von damals häufig die Double-Basedrum-Setup hatten, dann braucht man zumindest mal eine Doppelfußmaschine. Man hat das zwar nicht durchgehend wie beim Metal, aber immerhin stellenweise.

Und was ich dabei auch gelernt habe: wie groß der Einfluss des Schlagzeugs auf das Gefühl des Songs ist. Eye of the Tiger klingt völlig anders wenn man Viertel auf der Hihat spielt statt Achtel. Oder Runaway mit Achteln statt Vierteln. Und das es genau die Unregelmäßigkeiten sind die dem Ganzen Leben einhauchen. Das ist auch der Grund warum ich nach Noten spiele: man kann sich das einfach nicht merken, wann wo zusätzliche Schläge drin sind und wann welche fehlen. Wer will kann sich mal Losing My Religion genau anhören: klingt aufs erste Ohr sehr regelmäßig, ist es aber überhaupt rein gar nicht, das Muster wechselt ständig und das gibt dem Song erst das gewisse Etwas weil es sonst einfach zu monoton wird.

Dann ist es ziemlich schlecht wenn das Publikum nur den Bass hört und die Basedrum nicht.

Und warum zur Hölle habe ich so viel Mühe darauf verwendet die richtig trickigen Fills zu lernen? The Final Countdown ist so ein Fall (mit Doppelbasedrum!). Und mein bisher schwerster Song sowieso: Jump. Beim Gitarrensolo hat man praktisch auch ein Schlagzeugsolo, da ist überhaupt nichts regelmäßig. Und weil das auch noch auf der Ride-Glocke gespielt wird, hört man das auch noch ziemlich gut:

Transkription des Drumparts während des Gitarrensolos in Van Halen's Jump

Und das macht richtig viel aus wenn man es so spielt oder ob man nur etwas regelmäßiges durchspielt. Auch wenn es für mich immer noch eine Baustelle ist und ich wohl noch einige Zeit brauche bis ich es genauso spielen kann. Nicht das ich bisher irgend ein Drumcover gefunden hätte was es original nachspielen würde.

Und wo wir bei Jump sind: auch solche Kleinigkeiten wie die "Barks" der Hihat zu den Beats der Snare machen viel aus (mit zusätzlichen Variationen, siehe oben). Kann man sich aber anscheinend auch sparen.

Und was mich auch gewundert hat: die Songs wo das Schlagzeug einzählt und anfängt und jene wo ein anderes Instrument anfängt verteilen sich grob 50:50 - wie zum Beispiel The Final Countdown, das mit einem Keyboardintro anfängt. Warum hat bei der Band aber immer der Schlagzeuger eingezählt - und auch dort wo kein Schlagzeug hingehört trotzdem gespielt? Entweder können sie es nicht anders - oder der Schlagzeuger spielt auf einen Click im Monitor. Was natürlich nicht funktioniert wenn jemand anderes anfängt und er der einzige ist der in-ears hat.

Kommen wir so langsam zum Fazit: ich gebe ja ehrlich und realistisch zu dass ich noch nicht bühnentauglich bin, so gerne ich auch in einer Band spielen würde (und die waren zu siebt). Da ist noch einiges an Übung notwendig, aber wenn das flüssig klappt was ich übe dann dürfte ich mehr als gut genug sein. Mein Gear ist auch mehr als bühnentauglich, aber das liegt ja auch an Kai Hahto - wenn man Nightwish spielen will braucht man halt so viel. (Und nicht zu vergessen das Tamburin, warum wird das immer weggelassen?!). Ich brauche nur gute In-Ear-Monitore, ich hatte im Publikum die Ohrstöpsel zu spät reingemacht und meine Ohren sind wirklich zu empfindlich und mussten diese Woche schon zu viel aushalten. Die große Flex im Beton war selbst mit Kapselgehörschützern zu viel, und dann auch noch das Konzert: "next day Ohr piep". Auf der Bühne wird es nicht viel leiser gewesen sein.

Und die ganz große andere Frage ist ob ich überhaupt bandkompatibel bin, denn wie dieser Sermon gezeigt hat ist meine Einstellung und Herangehensweise ja mal wieder völlig anders als das die Normalmenschen machen. Ich würde zwar einem Gitarristen oder Keyboarder nicht vorschreiben wie er zu spielen hat, aber alleine so ist das schon schlimm genug. Ist das eine Null-Bock-Mentalität? Bei meinem neuesten Song (Rebel Yell von Billy Idol) habe ich mir zwei Liveaufnahmen angesehen: bei Rock am Ring von vor 10 Jahren sitzt wohl der Originalschlagzeuger am Kit und spielt ziemlich genau so wie auf der Aufnahme, vielleicht sogar mit etwas mehr Pepp. Leider schneidet die Regie immer weg bevor man sehen kann was er genau spielt, das war eigentlich meine Absicht. Trotz aller Tricks mit Audioeditor und Spleeter bleiben manche Sachen enorm schwierig zu hören, zum Beispiel welche Tom genau gespielt wird, speziell bei den tieferen und wenn die Snare parallel dazu klingt. Und bei einer Aufnahme von vor drei Jahren sitzt ein ganz anderer Typ da und ich hätte den postwendend gefeuert. Der hat sich auch nicht mal Mühe gegeben den Song richtig nachzuspielen.

Ich hatte das ja schon - wo ich bei Nightwish zerlegt habe dass sie auch keinen Bock hatten den entscheidenden Part live zu spielen und lieber vom Band laufen ließen. Aber warum muss ich mal wieder so eine völlig andere Einstellung als jeder andere haben?

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