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Fremder ...

Ich weiß nicht ob das jetzt ein Effekt des Sommer- oder Coronalochs ist, aber Politiker und andere Personen des öffentlichen Lebens scheinen jetzt einen Kreuzzug gegen Rassismus zu führen der teilweise abstruse Züge annimmt. Als könnte man Rassismus dadurch aus der Welt verbannen indem man den Begriff der Rasse aus der Verfassung streicht. Auf eine sehr schräge Art funktioniert das sogar, denn wenn es Rassismus als Begriff nicht mehr gibt, dann gibt es auch kein rassistisches Verhalten mehr. Aber dann ist das eben Feindseligkeit gegenüber ... Fremden.

Bei all der Zivilisation und Bildung von ganzen Nationen darf man nicht vergessen, dass es praktisch keinen genetischen Unterschied zwischen uns und unseren höhlenbewohnenden Vorfahren vor 20.000 bis 200.000 Jahren gibt. All unser Fortschritt besteht nur aus Information für die höheren Gehirnfunktionen was von Generation zu Generation weitergegeben wird. Aber jeder Mensch weiß auch, dass die Tatsache ob man einen anderen Menschen mag oder nicht eben nicht von höheren Gehirnfunktionen bestimmt wird sondern viel tiefer liegt. (Genau: williger Sexualpartner, verspricht gutes Erbgut: Muss mich fortpflanzen!) Und so weiter.

Drehen wir also die Zeit zurück bis dieser ganze Überbau ausgeblendet wird. Damals lebten Menschen in kleinen Familiensippen. Und jeder der nicht Teil der Sippe war, war ein Fremder und damit entweder ein potentieller Feind oder Schmarotzer. Und diese Betrachtungsweise dürfte genetisch angelegt sein, das ist ein Teil der menschlichen Kernidentität. Es gibt das "wir" - das ist eine kleine Gruppe von Menschen die uns nahestehen und die wir kennen, mit denen wir in gegenseitigem Altruismus verfahren - und die "Fremden", alle denen wir dafür nicht genug vertrauen. Vor diesem Hintergrund ist es ein Wunder, dass es die Menschen geschafft haben, in der heutigen Zeit so große Konstrukte wie die "Nation" mit Millionen Individuen zu schaffen, die halbwegs stabil sind. Aber um ein Zeichen dafür zu sehen, dass da auch ein "wir"-Begriff etabliert wird, braucht man nur auf die nächste Fußball-WM zu schauen: Das ist ja ein Wettkampf zwischen "uns" und "denen", der gewissermaßen Identitätsstiftend ist.

Ein zentraler Teil der Intuitiven Persönlichkeiten ist, dass ihnen die Fixierung auf das hier und jetzt fehlt und sie viel mehr in die Vergangenheit schauen und daraus Rückschlüsse für mögliche Zukunftsszenarien ziehen. Natürlich kann man nicht alles auf die Art und Weise vorhersagen, aber wie oben gezeigt haben sich die Menschen in den letzten paar tausend Jahren nicht grundsätzlich verändert. Neu ist tatsächlich die Bildung von Nationen um eine gemeinsame Identität, davor hatten wir tausende Jahre ein System von feudalen Abhängigkeitsebenen oder kleinere Gebilde wie Stadtstaaten. Die Ausnahme wären die Großreiche der Antike, sicherlich ein interessantes Forschungsthema ob es da eine gemeinsame Identität gab oder was dort für den Zusammenhalt gesorgt hat. Die Reste des deutschen Feudalsystems erleben wir sogar heute noch in Zeiten von Corona wo in Bayern andere Regeln gelten als in Rheinland-Pfalz.

Die Bildung der Nationen fand erst in den letzten zweihundert Jahren statt, und zwar wie gesagt um eine gemeinsame Identität - das Einzige was eine so große Zahl von Menschen überhaupt zusammenhalten kann. Deshalb ging der Nationalismus gleichzeitig einher mit ethnischer Differenzierung um es mal beschönigend zu formulieren. In Europa haben wir dadurch ein System von Staaten mit weitgehend homogener Bevölkerung. Durch den Postkolonialismus entstanden woanders Staaten in denen mehrere Bevölkerungsgruppen zusammenleben mussten und das war immer die Quelle von Konflikten. Die Ausnahme wären vielleicht die USA, aber deren gemeinsame Identität besteht wohl in der persönlichen Freiheit, dass es gar keine starke Zentralgewalt gibt. Die Nachteile davon fliegen ihnen jetzt in der Coronakrise um so mehr um die Ohren.

Nein, der Mensch steht allem was fremd ist sehr misstrauisch gegenüber. Ich kann hier wieder mal den Anti-INTJ-Spruch zitieren: "Niemand mag dich" und so weh die Erkenntnis auch tut, es stimmt. Es wäre vermessen zu erwarten dass ich in einer Gesellschaft aus Normalmenschen komme und gemocht werde. Und um das dahinterliegende Prinzip zu verstehen muss ich mich morgens nur beim ALDI umschauen. Dank Corona sind Fernreisen ja out und jetzt ist campen und wandern in der Eifel in. Folglich werden die Eifelaner von Touristenschaaren überrannt. Die Unterschiede sind nicht immer sofort klar offensichtlich, da nachlässige Kleidung und plumpes Schuhwerk leider auch Teil der hiesigen Bevölkerung sind, das Prinzip aber bleibt. Ich wage mal zu behaupten, dass es (von ein paar genauso speziellen Menschen mal abgesehen) niemanden gibt, der Touristen wirklich mag. Deren Geldbeutel, ja. Aber es sind halt auch Fremde und genauso gibt es ihnen gegenüber unterschwelliges Misstrauen, Furcht oder Ablehnung. Man mag die Mitglieder der Familie, den Kumpel vom Sportverein, vielleicht noch den Kollegen am Arbeitsplatz, aber dann hört es eben auch auf.

Und um auf die Einleitung zurückzukommen: Wenn jetzt ein Mensch aufgrund seines äußeren Erscheinungsbildes nun gar nicht so aussieht wie die Menschen unserer Umgebung und auch keine der Eigenschaften hat die zur nationalen Identität gehören, dann kann man das nennen wie man es will, es wird immer Vorbehalte geben weil es offensichtlich ein Fremder ist der diesen Vertrauensvorschuss des "ähnlichen" nicht hat. Vielleicht wäre es anders, wenn es N...er sind, die in Lederhose jodeln und offensichtlich glühende bayrische Nationalisten sind, aber bekanntermaßen liegen bei den meisten Fremden die Loyalitäten auch nicht unbedingt bei der deutschen Nation sondern je nach Herkunft beim Familienclan oder Imam. Und wenn das offensichtlich ist vertieft es das Misstrauen noch weiter. Vor diesem Hintergrund ist der Holocaust ja so tragisch, denn gerade die deutschen Juden sahen sich ja in erster Linie als Deutsche mit deutscher Muttersprache und erst in zweiter als Menschen jüdischer Religion mit bestenfalls sehr holprigem Hebräisch.

Und auf der anderen Seite ist es genauso vermessen zu erwarten wenn ich in einem Land lebe, die Sprache nicht flüssig und schon gar nicht akzentfrei sprechen kann, mein Imam mir predigt dass meine Mitbürger alle Ungläubige sind die im besten Fall weniger wert sind als ich und mich dann beschwere dass man mich nicht mag und von der Polizei häufiger kontrolliert werde. Und es ist reiner Populismus, das Problem damit lösen zu wollen dass Negerküsse jetzt Schokoküsse heißen sollen.

Die Lösung die im Grundgesetz steht ist gut: Die Menschenwürde ist unantastbar und alle Menschen haben die gleichen Rechte und niemand darf benachteiligt werden aus welchen Gründen auch immer. Aber daraus ableiten zu müssen, dass deshalb alle Menschen gleich behandelt, gleich gemocht werden müssen geht an der Realität vorbei.

Es ist unter anderem eine Folge des Klimawandels dass sich der Migrationsdruck auf der Welt weiter verschärfen wird und vor diesem Hintergrund muss sich die deutsche Nation, jede Nation überlegen wie sie sich entwickelt. Ein mögliches Szenario ist tatsächlich, dass die Nationen in ihrer heutigen Form aufhören zu existieren, denn eine europäische Identität wird sich wohl nicht entwickeln, die EU ist in erster Linie eine bürokratische Wirtschaftsgemeinschaft aus der zum Beispiel die Briten einfach ausgetreten sind (und deren Britische Identität auch schwer am bröckeln ist zugunsten von Engländern, Schotten & Co.). Die Folge davon ist eine Zersplitterung der Gesellschaft in Subkulturen und in meiner Eigenschaft als Tourist ist mir das in Paris am Gare du Nord und in Brüssel in Koekelberg sehr deutlich geworden wenn man auf einmal der einzige Mensch europäischer Abstammung in Sichtweite ist.

In Deutschland gab es aufgrund der Geschichte nach dem zweiten Weltkrieg eine Gesellschaft deren Muttersprache - und damit auch der nationalen Identität - mit ein paar winzigen Ausnahmen ausschließlich deutsch war. So ziemlich alle Gebiete mit einer kulturellen Durchmischung mussten ja abgegeben werden. Der Zustand hielt aber nicht lange an weil für den Wiederaufbau die Gastarbeiter angeworben wurden die dann prompt eine eigene Subkultur aufgebaut haben. Und man darf es sehr wohl kritisch sehen wenn ein Teil der deutschen Bevölkerung eine größere Loyalität zu Erdogan anstelle zu Merkel hat. Aber ich sehe auch keine Lösungen. Ethnische Säuberungen sind genauso undenkbar wie eine radikale Assimilation. In manchen Fällen hat das funktioniert - ich habe im Elsass jedenfalls keine offensichtlichen Spuren einer Elsässer Identität mehr gefunden - in anderen Fällen nicht, wenn ich nach Ostbelgien schaue wo sich die deutschsprachige Gemeinschaft dauerhaft als dritte Sprachgemeinschaft in der belgischen Nation eingegraben und alle Assimilationsversuche abgewehrt hat (was selbst mit zwei Gemeinschaften die Nation schon sehr destabilisiert hat, sonst wäre dieser Nachrichtenhoax à la "Belgien ist auseinandergebrochen" nicht so eingeschlagen).

Nein, der Trend weist eindeutig in Richtung einer weiteren Zersplitterung der Gesellschaft, was sich nur logischerweise auch in der Parteienlandschaft widerspiegelt. Die Zeiten wo es nur drei nennenswerte politische Ausrichtungen gab sind eindeutig vorbei und kommen auch nicht wieder. Schon interessant, wenn man das in die Zukunft fortschreibt. Das Internet trägt seinen Teil dazu bei, wo sich in sozialen Netzwerken neue Gruppierungen bilden während sich die Menschen vor Ort weiter voneinander entfernen. Das Beste auf das wir hoffen können ist eine friedliche Koexistenz, nur sollte man sich langsam einmal darüber einig werden was denn die Regeln dafür sind. Entweder man legt einen Kanon fest für dessen Einhaltung man sich gegenseitig respektiert. Oder man reduziert sich auf eine Zweckgemeinschaft. Nur wenn man auf dem Verbotsweg versucht, den Ausdruck gegenseitigen Misstrauens in Form von Sprache zu unterbinden ist das zwecklos. Diejenigen, die "Neger" sagen ohne es missbilligend zu meinen muss man mit der Verbotskeule nicht schlagen und diejenigen die es negativ meinen erfinden halt andere Worte. Außerdem müsste man dann alle anderen negativ besetzten Worte für Gesellschaftsgruppen verbieten, seien es Schwule, Lesben oder eben auch Nerds.

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