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Man schaue auf die Dimensionen

Auf meinen Leserbrief im Trierischen Volksfreund gab es doch tatsächlich ein paar Reaktionen. Ein älterer Herr hat mich angerufen und mich für meine klaren Aussagen gelobt, abgedruckt wurden dann zwei Folgebriefe von Lesern die anderer Meinung waren. Ich habe es nicht lassen können und habe meinerseits darauf eine Reaktion verfasst. Keine Ahnung ob diese abgedruckt werden wird:

Über die Antworten auf meinen Leserbrief bin ich nicht unbedingt erstaunt. Was Herr Linn aber verkennt ist die Tatsache, dass die Wirtschaft nicht einmal weiter wachsen muss, auch so bekommen wir ein riesiges Problem wenn Deutschland CO2-neutral werden will. Die aktuellen Zahlen vom Unweltbundesamt sind von 2016 und demnach haben wir einen Gesamtenergieverbrauch in Verkehr, Industrie, Haushalten und Gewerben aus CO2-erzeugenden Quellen von 1.764 Terrawattstunden (ohne Fernwärme und Sonstige). Dagegen steht die Erzeugung erneuerbaren Stroms 2018 von 229 TWh. Wir müssten also die installierte Leistung fast verachtfachen, dazu kommt noch das Problem dass in windarmen klaren Winternächten praktisch überhaupt keine erneuerbaren Quellen zur Verfügung stehen. Sicherlich lässt sich durch Effizienzsteigerung hier der Gesamtenergieverbrauch noch etwas senken, auch wenn er dies seit 1990 nicht nennenswert getan hat. Selbst wenn man überoptimistisch annimmt, die Lücke von beiden Seiten (Verbrauch und Erzeugung) zu schließen müssten Wind- und Solarenergie immer noch vervierfacht werden was angesichts des heftigen Widerstands gegen einen weiteren Ausbau wohl kaum realistisch ist. Und das würde voraussetzen dass jeder Bürger seinen Gesamtenergieverbrauch auf die Hälfte reduziert wofür sich ebenfalls kaum eine stabile Mehrheit finden ließe: Raumtemperatur halbieren, nur noch jeden zweiten Tag zur Arbeit fahren, nur noch die Hälfte konsumieren ... das ist unvorstellbar. Selbst die Herausforderung alleine, alle Anlagen die auf der Energieerzeugung durch Gase, Mineralölprodukten und Kohlen basieren auf Strom umzubauen ist kaum zu schaffen. Bildlich gesagt: Fast alles was heute auf deutschen Straßen fährt muss entweder umgebaut oder verschrottet werden. Beim Verkehr sind nur 11 der 749 TWh elektrisch, das dürfte in erster Linie die Bahn sein. Mit genügend Prozesswärme könnte man hingegen synthetische Kraftstoffe erzeugen, damit ließe sich die vorhandene Infrastruktur weiterverwenden.

Und zu Herr Bongerts:
Es muss nicht unbedingt Kernenergie sein. Die 1.700 TWh müssen nur irgendwo herkommen und das innerhalb der nächsten zehn bis zwanzig Jahre. In diesem Zeitfenster wird der Kernfusionsreaktor ITER gerade mal im Probebetrieb sein. Eine bislang unbekannte Energiequelle neu zu entdecken scheidet auch aus, es bleibt also wirklich nur die Kernkraft übrig und dort scheiden die bisherigen Druck- und Siedewasserreaktoren auch aus: mit Wasser bekommt man nur bei hohen Temperaturen einen brauchbaren Wirkungsgrad und dafür benötigt man einen hohen Druck, der wiederum ein entsprechend massives Containment erfordert. Das alles macht die Kraftwerke sehr aufwändig und selbst 20 Jahre unrealistisch. Selbst bei 200 oder 300 bar hat man immer noch nicht genügend Temperatur um Prozesswärme zu erzeugen. Wenn man diese gigantischen Herausforderungen betrachtet erscheint mir der Flüssigsalzreaktor einfach der naheliegendste Weg zu sein: Das Flüssigsalz erlaubt eine hohe Arbeitstemperatur von 600 bis 1000 Grad bei nahezu Atmosphärendruck, damit braucht man kein großes Containment und nur sehr wenig Material, Platz und Zeit zum Bau. Das würde es sogar erlauben die Anlagen komplett unterirdisch zu bauen was die Sicherheit gegen Strahlung und Terrorismus weiter erhöht. Und die Materialwissenschaft hat seit den 1960ern (dem bisher einzigen Testreaktor) enorme Fortschritte gemacht so dass das Korrosionsproblem wahrscheinlich lösbar ist, genauso wie das Tritium was man ja nur chemisch in einen nichtflüchtigen Zustand binden müsste bis es nach ein paar Jahren zerfallen ist. Diese Probleme erscheinen mir klein im Vergleich zu der Gesamtherausforderung.

Im Endeffekt ist es mir egal wie man das Problem löst, nur irgendetwas muss getan werden und der derzeitige Konsens in der Politik ist nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein, das wird den Verbrauch nicht nennenswert senken und die CO2-neutrale Produktion nicht nennenswert erhöhen. Die Herausforderung ist so groß dass man nur von allen Seiten gleichzeitig daran arbeiten kann wenn Alle Zugeständnisse machen: Weiterer Ausbau der Erneuerbaren Energien (= Abstands- und sonstige Beschränkungen senken, Grüße an die Windkraftgegner), weiterer Stromnetzausbau (Grüße an Bayern), weitere Erhöhung der Effizienz (Dämmung von Gebäuden auch wenn dadurch die Mieten steigen, Grüße an die AfD) und eben zusätzliche, CO2-neutrale Atomkraftwerke (Grüße an die Grünen) die sich möglichst schnell bauen lassen und CO2-neutrale Ersatzstoffe für die bisherigen Energieträger produzieren können.

Nachtrag: synthetische Kraftstoffe sind zwar aus der Sicht der vorhandenen Infrastruktur eine gute Idee, dabei habe ich aber nicht an die Effizienz gedacht - die ist aufgrund des komplizierten Prozesses unterirdisch. In diesem Video wird das super erklärt.

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