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Kartelle und Online vs. stationärer Handel

Neben einem Blog, den keiner liest, schreibe ich auch Briefe die wohl auch keiner liest, jedenfalls bekomme ich normalerweise keine Antwort. In diesem Fall ging es um eine Dokumentation über Kartelle in der Industrie und ein Abschnitt betraf die Preisbindung im Handel. Durchaus sehr interessant, aber ab einem gewissen Punkt wird es politisch und betrifft grundsätzlich das Verhältnis von Online- zu stationärem Handel und was eigentlich politisch gewollt ist. Hier jedenfalls mein Brief:

Zur WISO-Doku "Kartelle" - Heute auf ZDFInfo

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit Interesse habe ich die Doku über Kartelle in Deutschland gesehen. Als Einzelhändler für Einbauküchen will ich dazu aber noch ein paar Punkte anmerken, speziell was den Internethandel im Vergleich zum Einzelhandel betrifft.

In unserer Branche (Möbel) läuft der Einkauf fast ausschließlich über Einkaufsverbände, die mit den Herstellern die Preise verhandeln. Auf der Herstellerseite führt dies ganz sicher nicht zu überhöhten Preisen, wie man anhand der langen Reihe der Herstellerinsolvenzen verfolgen konnte. ALNO war hier wohl das prominenteste Beispiel, da diese jahrelang ihre Ware unter Wert verkaufen mussten. Die Verbände waren sich bewusst, dass ALNO seine Kapazitäten ausschöpfen musste um wenigstens eine schwarze Null zu schreiben und haben dementsprechend die Preise gedrückt, vielleicht sogar bis hin zu einem Käuferkartell (ja, das gibt es auch). Außerhalb der Verbände hat man als Händler jedenfalls keine Chance, wenn man überhaupt beliefert wird muss so viel mehr bezahlen dass man nicht mehr konkurrenzfähig anbieten kann.

Bei Küchenmöbeln gibt es praktisch kein Problem mit dem Internethandel, da kaum jemand in der Lage ist, seine Küche selbst zu montieren und da Handwerker immer knapper werden gibt es auch praktisch nicht die Möglichkeit, eine Montagefirma zu beauftragen. Die verfehlte Bildungspolitik im Bezug auf das Handwerk ist aber eine Sache für sich. Bei dem im Film gezeigten Hausbau ist es aber das gute Recht der Sanitärfirma, nur die Sachen zu montieren die sie auch selbst liefert wenn sie sowieso nicht mit der Arbeit hinterherkommt..

problematisch ist die Situation aber was das Verhältnis zum Internethandel bei Einbaugeräten betrifft. Man kann anhand der Verbandsvereinbarungen relativ gut abschätzen, was ein Gerät nach Abzug aller Boni den Händler kostet. Wie kann es dann sein, dass man diese Geräte im Internet für diesen Preis plus fünf Prozent findet? Bei den Herstellern ist es für uns nicht möglich, die Geräte direkt an eine Endkundenadresse liefern zu lassen und alleine schon die Logistik die Ware anzunehmen und weiterzuverschicken würde diese fünfprozentige Spanne auffressen.

Doch damit ist es nicht getan. Als stationärer Einzelhandel haben wir diese Geräte in unserer Ausstellung ausgestellt (was Ladenmiete und Strom kostet), wir haben Berater die die Geräte erklären können und eine Kaufberatung machen können, wir machen Installationspläne, wir liefern, bauen ein, schließen an, nehmen den Müll und das Altgerät mit und so weiter. Das alles kostet Geld, und zwar eine Menge davon. Unsere Geräte kalkulieren wir mit 110% Aufschlag (inklusive Mehrwertsteuer) auf den netto-netto-netto-Einkaufspreis. Dieser Preis ist auch sozialistisch, denn der Firmengewinn geteilt durch meine Arbeitsstunden, abzüglich der Verzinsung auf das eingesetzte Kapital ergibt nicht viel mehr als meine Angestellten und Monteure auch verdienen und ich habe noch das unternehmerische Risiko.

Im Vergleich zu den Internetpreisen ist das aber viel zu viel. Der Internetpreis kann bei gleichem Gewinn sehr viel günstiger sein weil oftmals die Ware direkt vom Hersteller an den Kunden verschickt wird, der Händler braucht also nur einen Computer. Das ist ein grundsätzlicher Systemunterschied zum Einzelhandel, was dem Normalverbraucher aber gar nicht so bewusst ist und durch solche Aussagen wie in der Doku noch verstärkt wird. Ganz besonders schäbig ist es, wenn sich die Kunden im Ladengeschäft beraten lassen und die Geräte dann im Internet bestellen - es sollte jedem klar sein, dass dies nicht funktioniert und auf Dauer den stationären Handel vernichtet.

Wenn es also Lieferanten gibt die ihren stationären Handel schützen indem sie die Preise vorgeben, dann hat das auch eine positive Komponente. Die Alternative ist, dass die Ladengeschäfte verschwinden weil sie nicht konkurrieren können (in unserer Zwergstadt mit 1.500 Einwohnern steht die ganze Innenstadt leer). Wenn wir die Ware nicht mehr selbst verkaufen können, dann bieten wir eben nur noch den Service, aber dieser verteuert sich dann eben weil er im Moment im Preis der Ware eingerechnet ist. Um zu dem gezeigten Beispiel des Hausbaues zurückzukommen: Wenn dort der Waschtisch 100€ kostet und die Montage 50€, und der Waschtisch kostet im Internet nur 50€, dann kostet die Montage dann eben 100, ohne dass sich die Sanitärfirma eine goldene Nase daran verdient. Ich würde den Preis nur dann als überhöht bezeichnen wenn der Firmenchef im Bugatti vorfährt.

Schlussendlich ist dies auch eine politische Frage: Will man den stationären Handel und die daran hängenden Arbeitsplätze erhalten, dann muss man irgendwie dafür sorgen dass dieser auch überleben kann. Oder man lässt den Markt unreguliert, ein Geschäftsmodell verschwindet und nachher heißt es, dass früher alles besser war (berühmtes Beispiel: der Tante-Emma-Laden). Das ist kein kapitalistischer, sondern ein sozialistischer Ansatz. Um keinen falschen Eindruck zu erwecken: Kartelle zugunsten überhöhter Gewinne der Hersteller sind für den Verbraucher schlecht, wenn daran einige wenige unmoralisch viel verdienen. Wenn aber der Firmengewinn "anständig" bleibt und das Geld schlussendlich über die Lohnkosten wieder in den Markt zurückgeströmt ist, ist das dann gut oder schlecht? Auch wieder so eine politische Frage. Und wenn man schon auf dem Boden der moralischen Betrachtung von Gewinnen als Maßstab angelangt ist, dann sind zum Beispiel Millionengehälter für Fussballstars genauso unmoralisch wie Managergehälter. Mit dem Unterschied, dass man den einen zujubelt und die anderen an den Pranger stellt.

Zum Schluss habe ich noch ein quasi-Kartell, basierend auf einem überregulierten Markt: Prüforganisationen. Hat man einen Aufzug, muss man diesen prüfen lassen, das ist gesetzlich vorgeschrieben. Nur hat man dabei keine Wahl ... selbst wenn es mehrere Prüforganisationen wie TÜV oder Dekra gibt, es kommt immer nur einer (ich habe jedenfalls nie einen Prüfauftrag vergeben und der TÜV kommt trotzdem) und der verlangt kräftig etwas dafür und das ist erst einmal schlecht. Aber würde man es auf der anderen Seite wollen, dass dieser Markt in Preisdruck gerät? Das wäre für den Verbraucher erst einmal gut, wenn aber hunderte Prüforganisationen um Aufträge kämpfen, kommt bestimmt einmal der Werbespruch auf "Extra-Service: wir schauen nicht so genau hin und machen es deshalb günstiger" und das wäre dann wiederum schlecht für das eventuelle Opfer. In Luxemburg gibt es zum Beispiel kein Benzin-Kartell. Dort wird die Preisobergrenze staatlich festgesetzt und der Treibstoff kostet folglich überall gleich (kann sein, dass einer 0,5 cent pro Liter günstiger ist). Oder ist das ein Kartell mit dem Staat als Hauptakteur? Und wer entscheidet das?

Je weniger Akteure es am Markt gibt, desto größer wird das Risiko der Kartellbildung. Nimmt man den eindeutigen Trend, dass es überall Fusionen und Zusammenschlüsse gibt, dann wird sich diese Gefahr in Zukunft noch verstärken. Dann müsste man wiederum politisch hinterfragen, warum es diese Fusionen überhaupt gibt und ob man diesen Trend umkehren könnte, dass es also lukrativer wäre ein Unternehmen in zwei konkurrierende Zweige aufzuteilen.

Mein Fazit kann also nur sein, dass es keine schwarz-weiss-Malerei gibt, sondern dass alles irgendwie zusammenhängt und man nicht an einer Schraube drehen kann ohne sehr viele andere Sachen mit zu verstellen was man eigentlich nicht will. Wenn hier irgendjemand eine für alle "gerechte" Lösung gefunden hat, möge er bitte eine Partei gründen, damit ich ihn wählen kann.

Mit freundlichen Grüßen

Dazu habe ich aber noch einen aktuellen Nachtrag, frei nach dem Motto: Der stationäre Handel ist es zum Teil auch selbst schuld. Zwei aktuelle Beispiele: Im Aldi bildete sich an der einzigen geöffneten Kasse eins eine Schlange. Dann hat jemand Kasse zwei besetzt um wohl eine Retoure abzufertigen. Ich stelle mich da einfach dahinter, weil ich nur zwei Brötchen habe. Dann werde ich von der Dame an der Kasse angefahren: "Diese Kasse ist eigentlich geschlossen". Wenigstens hat sie mein Geld dann trotzdem genommen und das der anderen Kunden die sich hinter mir eingereiht haben auch. Wie sich die Mentalitäten doch unterscheiden: Für den Spruch gegenüber einem Kunden hätte sie sich in den USA wohl prompt auf der Straße wiedergefunden.

Beispiel zwei: Ich bin auf der Suche nach Autopolitur und da es im Ort keinen Baumarkt mehr gibt, fahre ich einen Ort weiter. Dort steht ein Angestellter vor der Türe, ich grüße ihn höflich nur um die Antwort zu bekommen: "Es ist 18:05 Uhr und wir haben geschlossen." In Anbetracht der Tatsache, dass die Produkte in diesem Markt eben alle ein gutes Stück teurer als im Internet sind, bin ich da wohl zum letzten Mal gewesen. Natürlich musste der Mann mich nicht reinlassen, aber so ziemlich das einzige Pfand was der stationäre Handel hat ist eben der Service und das bedeutet in so einem Fall eben zuvorkommend zu sein. Was ich in meinem eigenen Laden übrigens mache, ich habe noch nie jemanden weggeschickt weil mir das eben bewusst ist und deshalb habe ich auch keine Probleme mit dem Internet. Es geht übrigens auch anders: Ich habe mal versucht, um 6:45 Uhr Brötchen zu bekommen weil ich wegfahren musste. Der Bäcker war fleißig dabei seine Auslage einzuräumen, hatte die Tür aber zu und mich völlig ignoriert als ich das ausprobiert habe. Dafür das das Brötchen doppelt so viel kostet wie bei ALDI muss man sich dann nicht wundern, dass die Kunden so ein Verhalten bei ihrer Kaufentscheidung berücksichtigen.

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