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Das Ende der Hilfsbereitschaft

Ja, das gab es früher einmal. Wenn jemand ein Problem hatte, dann fanden sich freundliche Menschen, die selbstlos Hilfe geleistet haben. Ich mache das immer noch, das gibt gutes Karma. Ich bekomme in der Firma häufiger Telefonanrufe und da gebe ich mein Wissen gerne weiter auch wenn da für mich kein Geschäft zu machen ist. Solange das nur ein paar Minuten sind ist es mir das wert. Aber die Realität in der aktuellen Welt sieht da völlig anders aus - ich!, ich!, ich! setzt sich immer mehr durch.

Bei meinen Renovierungsarbeiten im Lager habe ich jetzt diesen Riß im Beton entdeckt:

Riss in Betonscheibe
Riss in Betonscheibe

und zumindest als feiner Riss zieht sich dieser bis auf die andere Seite der Betonscheibe durch. Damit hängt der ganze Sturz und damit auch die darauf aufliegende Decke nur noch an der Armierung. Wenn man von den Farbspuren ausgeht, dann ist der Riss zwar schon länger da, der letzte Anstrich muss 30 Jahre her sein und es ist teilweise überstrichen worden. Aber trotzdem sollte man da was machen.

Vor ein paar Monaten ist in Surfside, Florida ein Appartementgebäude spontan in sich zusammengefallen und da gab es auch vorher Risse:

Der wesentliche Unterschied ist nur: dort war derjenige der sich die Risse angeschaut hat unfähig um die davon ausgehende Gefahr zu erkennen. In Deutschland wäre erst gar keiner gekommen. Ich habe zwei Statiker angeschrieben, habe Bilder und die Bewehrungspläne mitgeschickt. Der erste hat abgelehnt und noch ausdrücklich geschrieben er hätte sich nichts von dem Material angeschaut (Haftung?), die zweite, größere Firma hat geschrieben sie sei überlastet und könne deshalb kein Angebot abgeben. Das ich hier keine komplette Statik für ein neues Haus will, sondern es sich mehr oder weniger um ein akutes Problem handelt bei dem mir alleine schon mit einem Ratschlag geholfen wäre - so viel Hilfsbereitschaft gibt es nicht mehr.

Und selbst wenn - die nächste Spezialfirma für Betonsanierung habe ich wegen anderer oberflächlicher Schäden schon dreimal angeschrieben und war auch schon persönlich bei denen im Büro und ich bekomme noch nicht einmal ein Angebot. Den dritten Gutachter soll ich in zwei Wochen nochmal wegen eines Termins anrufen, hoffen wir das Beste. Bei meiner Bachreinigungsaktion bin ich ja auch unter den verschiedenen Brücken durchgelaufen und bei der letzten wurde es mir Angst und Bang. Ich habe mich fast nicht drunter durch getraut, so viel schlimmer sah das aus ... da ist der Beton auf der Zugseite komplett weg und die Eisen rosten vor sich hin. Für mich ist das selbstverständlich, dass ich am nächsten Tag den Bürgermeister angerufen habe und ihm das gesagt habe, er wusste dann auch an wen er das weiterleiten muss.

Oder eine andere Story, die mir den letzten Samstag verdorben hat: Ich gehe Samstags immer zum Tanzkreis, als minimale Sozialisierung sozusagen. In der Pause gibt es immer Geschwätz, und diesmal hat jemand erzählt dass ein Kollege ohnmächtig geworden ist und mit dem Kopf auf der Werkbank aufgeschlagen ist. Die Berufsgenossenschaft wollte das wohl nicht übernehmen weil es ja kein Arbeitsunfall ist und dann sagt der Typ: "Ich an seiner Stelle hätte das ganze Jahr lang krankgefeiert, das haben sie dann davon". In welcher Welt leben wir, wo es den Angestellten völlig egal ist was für Probleme solches Verhalten für den Arbeitgeber bedeutet? Ich glaube mittlerweile: in einer Scheißegal-Gesellschaft.

Ich bin ja wohl ein Auslaufmodell. Eine der letzten Küchen die ich geliefert habe war die Kaffeeküche für den städtischen Kiosk (Post, Zeitschriften etc.). Und ausgerechnet bei der Eröffnung wollte dann die Spülmaschine nicht mehr. Normalerweise ist das ein Fall für die Garantie, den Werkskundendienst - dauert mindestens eine Woche. Ich habe mir das trotzdem angesehen ob es vielleicht eine einfache Lösung gibt und siehe da, die Maschine wollte nicht mehr abpumpen. Man kommt bei den meisten Maschinen an das Pumpenrad heran, aber fühlen konnte man da nichts und es stand natürlich auch alles voller Brühe. Also bin ich zurück in die Firma, habe mir eine Handpumpe geholt, alles leergepumpt und wirklich: es hatte sich eine Scherbe von einem Bierglas mit genau der richtigen Krümmung an den Rand des Pumpengehäuses geschmiegt. Einmal die Scherbe herausgefummelt und alles wieder in Butter. Das war natürlich nicht Garantie, aber ich habe im Traum nicht daran gedacht dafür eine Rechnung zu schreiben.

Auf der anderen Seite: Angestellten ist es **egal ob das was sie zusammenschrauben auch so in Ordnung ist. Die zwei Monteure die ich wegen Unfähigkeit, mangelnder Sorgfalt und blankem Betrug rausgeworfen habe arbeiten jetzt bei der Konkurrenz. Was auch nur bedeuten kann dass die so verzweifelt sind dass sie jeden nehmen oder nach dem Prinzip wirtschaften: "alles was der Kunde nicht reklamiert ist in Ordnung". Dass man sich so den Ruf ruiniert und wenn irgendwann mal die Nachfrage nachlässt dann die Kunden woanders hingehen ... anscheinend auch egal, Hauptsache Wachstum und Umsätze mitgenommen.

Was dieses **egal-Prinzip auf dem globalen Maßstab bezogen bedeutet sieht man an der Ukraine: Putin sind die Soldaten aus dem Donbass völlig egal und seine eigenen weitgehend, die Ukrainischen Zivilisten sowieso. Hauptsache man kann seine Großmachtsträume wahrwerden lassen. Auf der anderen Seite gibt es erschreckend viele Deutsche, denen das eigene Hemd viel näher als irgendwelche dämlichen moralischen Verpflichtungen ist. Nord Stream 2 aufmachen, mit Putin verhandeln, billiges Gas bekommen und ** auf die dreckigen Ukrainer. Oder der Shitstorm der auf Annalena Baerbock niedergegangen ist als sie - völlig richtig - gesagt hat, dass ihr ethische Prinzipien wichtiger sind als der Wählerwille. In dem Fall ist das **egal-Prinzip auch noch dumm - wenn Putin gewinnt, dann dreht er die Ukrainische Armee natürlich um (deren Verluste sind ja praktisch willkommen) und auf in das nächste ehemals sowjetische Land. Und irgendwann ist man in NATO-Territorium und die **egal-Leute würden Artikel 5 wahrscheinlich auch noch in Frage stellen wenn es nur um dreckige Litauer geht oder so. Und ich habe bis heute nicht begriffen warum die Ukraine nicht mal die ollen Leopard 1 vom Schrottplatz kaufen darf.

Es ist natürlich unmöglich in Zahlen zu fixieren, aber dieser zunehmende Egoismus nimmt langsam wirklich erschreckende Ausmaße an. Nur ist der Egoismus auch noch dumm. Jäger- und Sammlergesellschaften sind ziemlich altruistisch und basieren auf Kooperation - alleine kann man ein Mammut weder erlegen noch wegtragen. Sobald die Leute seßhaft wurden machte sich Egoismus breit, denn man konnte auf einmal ziemlich autark auf der eigenen Scholle leben. Nur scheint das keiner begriffen zu haben, dass eine Nation auf der Kooperation seiner Bürger basiert - aber das geht nur zweiseitig. Man kann zwar nach der staatlichen Geld-Gießkanne rufen wenn auf einmal die Energiepreise steigen, aber irgendwoher muss das Geld ja kommen - und es gibt da eine Gruppe von Menschen die sich gerade auf Kosten aller anderer eine goldene Nase verdient weil die Energiepreise ja viel stärker gestiegen sind als die Erzeugungskosten. Also auch wieder "Hauptsache meins und **egal wie es allen anderen geht".

Und noch was witziges zum Schluß: Heute bekam ich einen Anruf von einer Essener Nummer, am anderen Ende jemand der nur Englisch sprach. Der wollte mir ein Investment schmackhaft machen, nach dem Prinzip: "40% Gewinn in 90 Tagen". Ich kann da nur sagen: diejenigen bei denen die Gier so weit geht um in so was zu investieren sind einfach nur selbst schuld. Das lässt sich ja austauschen mit den ganzen Spammails à la "er verdient 3.000 Euro im Schlaf", dann anscheinend oft in Verbindung mit sagenhaften Crypto-Investments ...

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