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Realer Irrsinn

Die freie Presse mag zwar auch ihre Fehler haben indem sie häufig irgendeine Sau durchs Dorf treibt die halt gut für die Auflage ist. Und deshalb selbst die Bevölkerung - bewusst oder unbewusst - beeinflusst und das häufiger auch mal auf Basis ungenügender Recherche. Aber auf der anderen Seite wird doch auch so einiges veröffentlicht bei dem man ein Schleudertrauma vom Kopfschütteln bekommt.

Aktuell werden ja die Ereignisse der Flutnacht im Juli 2021 aufgearbeitet. Und dabei kam auch die Rolle der Rettungsleitstellen in den Blickpunkt. Die Flutwelle wanderte ja talabwärts und bereits frühzeitig wurde durch eine enorme Zahl von Notrufen klar das da was passiert. An diesem Punkt hätte man an der Ahr noch einige Menschenleben retten können wenn man eine weitreichende Warnung verbreitet hätte. Aber das Personal der Rettungsleitstelle hat das nicht von sich aus gemacht, weil das bürokratisch nicht so vorgesehen ist. Vielmehr benötigen sie dafür einen schriftlichen - ich nenne das jetzt mal Befehl - des Landrates oder der jeweiligen Kommunen. Der Ahr-Landrat hatte ja die Befehlsgewalt wohl abgegeben und die betroffenen Kommunen hatten wohl selbst genug zu tun, jedenfalls wurde das Formular nicht eingereicht. Und als es dann doch eingereicht wurde wurden Rundfunk und Fernsehen nicht alarmiert weil dort ein Kreuzchen gefehlt hat.

Das jemand dort die Tragweite der Situation erkannt und eigenverantwortlich das Richtige getan hätte? Fehlanzeige. So ist Deutschland: Halte dich an die Vorschriften, dann bist Du versichert. Was noch schlimmer ist war die Begründung die ein Vertreter dafür angegeben hat: Wenn man die Warnung verbreitet hätte wäre unter Umständen das laufende Rundfunk- und Fernsehprogramm für eine Durchsage unterbrochen worden. Und es hätte ja auch ein Fehlalarm sein können. Es ist also im Auge der Behörden schlimmer, möglicherweise illegal einen Fehlalarm zu verursachen als es zu unterlassen möglicherweise Todesopfer zu verhindern, sich aber dabei an die Vorschriften zu halten. What the fuck?!

Es kommt ja ab und zu mal vor, dass Menschen für heldenhafte Taten das Bundesverdienstkreuz bekommen. Aber die Heldentat möchte ich mal sehen die streng nach Vorschrift durchgeführt wird. In Deutschland ist da irgendwie richtig was kaputt mit dem Zwang, alles bis ins kleinste reglementieren zu müssen und wehe, man verstößt gegen irgendwas. Wobei die Justiz ja noch schlimmer ist und es da nicht um richtig oder falsch sondern um Korintenkackerei geht.

Dazu passt auch die Meldung, dass die Behörden einen Rentner belangen, der entlang der Straßen freiwillig Müll sammelt. Das ging sogar so weit, dass man ihn wegen illegaler Müllabladung angezeigt hat weil er die Säcke zur Abholung durch die Straßenmeisterei aufgestapelt hat. Jetzt zwingt man ihn, die offiziellen Müllsäcke mit Gebührenmarke zu kaufen, damit den Müll auf eigene Kosten zu entsorgen und selbst das klappt anscheinend nicht. Oder den Müll bis zum jährlichen Dreck-weg-Tag in seinem Garten zu stapeln. So kann ja auch wirklich nur die Bürokratie denken. Anstelle Eigenverantwortung und Engagement zu fördern sind geregelte Strukturen wohl viel wichtiger, egal ob es funktioniert oder nicht.

Bei der derzeitigen Debatte um die Unterstützung der Ukraine kann man ja in Kommentarspalten und Leserbriefen alle möglichen Strömungen nachverfolgen. Ich habe ja schon länger das Gefühl, dass die Gesellschaft immer egoistischer wird und es gibt tatsächlich die Forderung die Ukraine müsse doch kapitulieren um den Krieg zu beenden. Aber dabei sollte klar sein dass man sein eigenes Schicksal damit aus der Hand gibt - in Stalingrad haben 110.000 Mann kapituliert und davon kamen nur 5.000 wieder zurück und die Sowjetunion hat schon einmal einen Völkermord an den Ukrainern durchgeführt. Es ist leider nicht mehr online, aber habe ein Interview von DW News mit einem Gegenwartsgeschichts-Professor gesehen bei dem ganz klar wurde an welchem Wendepunkt der Geschichte wir im Moment stehen. Es geht um nicht mehr oder weniger als das Verhältnis von Demokratien zu Autokratien. Wenn Putin mit seinem Angriffskrieg Erfolg hat dann stehen seine Kollegen schon Schlange um ihre eigenen Angriffskriege um Macht und Territorium zu führen, allen voran China in Taiwan.

Und hier muss man sich ein für allemal klar werden, dass "das Richtige zu tun" immer auch mit persönlichen Opfern verbunden ist. Und genau das steht ja im Gegensatz zu diesem zunehmend egoistischen Verhalten.

Natürlich wäre es das Richtige, ein komplettes Embargo gegen Russland zu verhängen, also alle Rohstoffimporte sofort zu beenden. Klar kostet das was, aber es ist ja irgendwie widersinnig, ein paar Millionen Rüstungshilfe an die Ukraine zu zahlen während man im gleichen Zeitraum Milliarden in Devisen für Gas in den russischen Staatshaushalt überweist. Aber gerade im Protest von BASF sieht man dass der Profit offensichtlich wichtiger ist als die Moral, zumal sich die BASF schon seit den 1990ern mit russischem Gas zu Sonderkonditionen versorgt hat und das Magazin MONITOR aufgedeckt hat dass die angeblichen Horrorszenarien bei einem sofortigen Verzicht überhaupt nicht wissenschaftlich fundiert sind.

Und die russische Drohung mit dem dritten Weltkrieg? Natürlich machen die das, das hat ja in der Vergangenheit immer funktioniert. Das ist ja so wie in dem Asterix-Band wo das aufmüpfige Kind immer die Luft anhält bis es bekommt was es will. Aber auch hier gilt: wenn Werte und Moral irgendeine Bedeutung haben sollen, dann muss man auch dafür einstehen und besonders dann wenn es etwas kostet. Wenn jemand ein Unfallopfer aus einem brennenden Auto zieht dann läuft man natürlich Gefahr sich dabei selbst Verbrennungen zuziehen. Aber das macht einfach wegschauen nicht richtiger.

Zum Schluss möchte ich noch ein paar Anmerkungen machen wie sich die INTJ-Persönlichkeit dabei auswirkt. Man ist zwar extrem rational, aber eben auch gleichzeitig genau wie die NF-Typen mit einem sehr starken moralischen Kompass ausgestattet oder besser gesagt: Dem sehr starken Bedürfnis, eben "das Richtige" zu machen. Interessant wird es dann wenn es um Vorschriften geht. Wenn ich auf Montage bin, dann lese ich anders als typische Handwerker zuerst mal die Montageanleitung. Aber um es dann "richtig" zu machen ist das nur ein Aspekt. Man kann davon ausgehen dass sich die Verfasser der Anleitung ja dabei etwas gedacht haben, aber es muss nicht unbedingt bedeuten dass sie auch den optimalen Weg gefunden haben. Was auch eine sehr große Rolle spielt ist Effizienz: Wenn man etwas schnell macht, es aber später nochmal neu machen muss weil es nicht so funktioniert wie es soll hat nur unnötig Ressourcen verschwendet und manches lässt sich überhaupt nicht rückgängig machen.

Deshalb mag es manchmal so scheinen als seien INTJ langsam im Denken. Wenn ich vor einem Problem stehe kann das bedeuten dass ich erstmal eine Zeit lang nur nachdenke. Und zumindest ich habe die Tendenz, meine Lösungsideen auch noch mit jemand anderem zu besprechen ob von da aus nicht noch eine bessere Idee kommt. Alles eben mit dem Ziel, es möglichst direkt "richtig" zu machen. Und wenn das bedeutet dabei die Vorschriften zu ignorieren weil der Verfasser entweder keine Ahnung hatte oder diesen speziellen Fall nicht bedacht hat - dann ist es eben so. Und wenn die offiziellen Vorschriften nicht ausreichen weil man eine Fehlerquelle gefunden hat die bisher nicht berücksichtigt worden ist? Dann mancht man sich eben eigene Vorschriften die das berücksichtigen.

Vielleicht erklärt das auch das eine oder andere was unter "Strukturen und repetives Verhalten" zählt. Wenn ich koche und ich will satt werden und es soll lecker schmecken, dann halte ich mich genau an das vielfach bewährte und optimierte Rezept. Aber auf dem Weg dahin kocht man auch manchmal mit der Zielsetzung, eben jenes Idealrezept zu finden und in dem Modus experimentiert man eben auch (und hat eine Alternative wenn es wirklich nichts wird). Was dabei erschwerend hinzukommt ist die Wirkungsweise von Introverted Intuition, die besten Einfälle kommen dann eben ungefragt über Nacht wenn man gar nicht gezielt über das Problem nachdenkt. Deswegen ist Spontanität eben eher ungünstig.

Gut, hierbei geht es um technisch richtig, aber irgendwie fühle ich dass es dabei gar keinen Unterschied zu moralisch richtig gibt. Es ist schlussendlich wohl auch effizienter und verhindert zukünftige Kriege wenn man hier ein riesengroßes Stoppschild aufstellt, nach dem Motto: Wer einen demokratischen Staat überfällt der bekommt es mit der Gemeinschaft aller demokratischer Staaten zu tun, ob eben direkt oder indirekt.

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