Skip to content

Tausendsassa Teil Drei

Es lässt sich leider nicht vermeiden, dass ich mich hier in diesem Blog immer ein wenig wiederhole. Aber selbst so komplex wie ein Mensch nunmal ist, es beschäftigen Ihn doch immer wieder die gleichen Situationen. Und schon seit Jahren geht mir der Spruch um, den ich irgendwo über Tausendsassas beziehungsweise Jack of all Trades gehört habe: "Die Menschen wollen keine Tausendsassas, sie wollen Experten". Im Prinzip stimmt das auch, wenn ich sagen wir mal eine Blinddarm-OP brauche gehe ich wohl zu jemandem, der das fünf mal am Tag macht anstelle von einem Arzt, der mal einen Blinddarm, ein gebrochenes Bein, einen Schnupfen oder einen Hautausschlag behandelt. Der Experte kann das sicher besser.

Aber stimmt das auch wirklich? Unsere Welt ist seit den Polymaths (Universalgelehrten) der Renaissance sehr, sehr viel komplexer geworden. Konnte Leonardo da Vinci damals noch Weltspitze in mehreren Fachgebieten sein - wie Malerei, Ingenieurwissenschaften, Anatomie - so gilt das heute schon lange nicht mehr. Wer heute in einem Fachgebiet an die Spitze kommen will, muss sich voll darauf konzentrieren und spezialisieren und Fortschritt ist heute viel mehr eine Sache von Teamarbeit als herausragenden Einzelleistungen. Gleichzeitig ist das Arbeitsleben auch unglaublich differenziert weil die Abläufe auf sehr viele Menschen verteilt werden von denen jeder nur seinen kleinen Teil zum fertigen Produkt beiträgt. Steve Jobs hat zwar vielleicht den ersten Apple zusammengelötet, wäre aber total überfordert ein neuestes IPhone selbst aus seinen Komponenten zusammenzubauen.

Dieses Prinzip lässt sich aber keineswegs von der Weltspitze auf die Allgemeinheit übertragen. Kurz gesagt: Wenn ich meinen Klo kaputt habe, hätte ich es zwar gerne wenn der weltbeste Installateur kommt um das Klo zu reparieren, nur werde ich den a) nicht bekommen und b) nicht bezahlen wollen, schon alleine wenn der von irgendwoher eingeflogen werden muss. Und dann kommen wir an einen Punkt den ich immer noch nicht richtig wahrhaben will: Intelligenz. Es ist nun einmal so, dass sich für die meisten durchschnittlichen Berufe auch nur durchschnittlich intelligente Menschen finden die ihn machen. Das habe ich heute wieder gemerkt wo ich eine Arbeitsplatte, eine tiefe Fensternische und einen schiefen Raum hatte und wo alles nicht gepasst hat. Ob und wie man dann eine Lösung findet und diese sich dann vorstellen und mit der Realität abgleichen kann, das braucht halt erhöhte kognitive Fähigkeiten und nicht jeder Handwerker hat die auch. Und ich kann es drehen und wenden wie ich will: Ich bin halt so viel schlauer als der Rest. Oder ein anderes aktuelles Beispiel: Mein Vater informiert mich, dass bei der Küche für den nächsten Tag noch Hängeschränke eine vorgezogene Rückwand benötigen um das Abluftrohr zu verstecken. Damit ist für mich alles klar, es gibt mit dem Material was wir haben eigentlich nur eine sinnvolle Art die Rückwand zu befestigen und natürlich habe ich mir für die Halter eine Bohrschablone gemacht. Meine Monteure sind aber überfordert, schon mit der genaueren Beschreibung: "zieh die Rückwand 19 cm vor und mache die mit Rückwandclips fest" und mit dem allgemeineren: "schau Dir die Abzugshaube und den Schrank an und mache eine passend vorgezogene Rückwand" sowieso.

Und da schlägt dann tatsächlich die Stunde der Tausendsassas. Die gehören nämlich gewöhnlich zu der Gruppe der außergewöhnlich intelligenten Menschen und können damit den Mangel an Routine sehr gut kompensieren. Das ist ähnlich so wie der Spruch: "Man muss nicht alles wissen, man muss nur wissen wo man es nachschlagen kann". Klar muss auch ein Tausendsassa ein paar Versuche machen bis er einen Vorgang beherrscht (und hoffen, dass er es so schnell nicht wieder vergisst), aber es gibt eben einen riesigen Unterschied beim Lernen: Wenn man schon so viel gelernt hat wie ein Tausendsassa, dann kommen neue Fähigkeiten auch immer einfacher dazu. Beim Klettern musste ich keine Knoten lernen, die Kletterer haben nur andere Namen für die gleichen Knoten wie die Segler. Wenn man die Grundzüge von zwei Programmiersprachen kann, dann braucht die dritte auch nicht mehr so lange und so weiter. Der Tausendsassa lernt in erster Linie Strukturen und Zusammenhänge und das Lernen an sich und nicht die bloße Anwendung gelernter Inhalte. Die Mehrzahl der Menschen kommt in ihrem Beruf gut zurecht solange sie nur das Gelernte anwenden müssen. Werden Sie aber mit etwas neuem konfrontiert, dann fängt die Party an. Um es mit Michael Manusakis zu sagen: "Katastrophe!". Für den Tausendsassa ist das nur business as usual, mit etwas neuem, unbekannten klarzukommen ist da die eigentliche Routine. Von Sorgfalt vs. Feierabend wollen wir da gar nicht erst reden. Da zeigt man seinen Leuten extra wie man mit der Lochsäge saubere Löcher bekommt wenn man zuerst von der einen Seite anbohrt und von der Rückseite durchbohrt und dann findet mann richtig fett ausgebrochene Bohrkerne im Müll.

Das Problem eines Tausendsassa ist nur, dass die Gesellschaft keinen wirklichen Platz für sie hat. In Deutschland zählt eine Schulung und ein Schein mit einem Stempel einfach mehr als die simple Tatsache ob man etwas kann oder nicht. Schaue ich hingegen in die Realität, dann machen die Leute die Schulungen besucht und Scheine bekommen haben es entweder anders als sie das dort gelernt haben oder haben es ganz vergessen und machen es so wie sie es immer gemacht haben. Da hatte man extra eine Schulung für den GLS-Paketshop und von denen die dabei waren kann das keiner (mehr). Ich habe auch ein Gerichtsverfahren verloren, weil mein Anwalt die "Subsidiarität der Nichtleistungskondiktion" zwar wahrscheinlich irgendwann mal für ein Examen gebüffelt hat, das aber schon lange wieder vergessen hat. Was nützt also so ein Wisch, der im besten Fall nur sagt, dass man etwas irgendwann mal wusste? (genauer: genug wusste um die Prüfung zu bestehen und im schlechtesten Fall: körperlich anwesend war als darüber gesprochen wurde wenn das eine von den Schulungen war wo es keine Prüfung am Ende gibt).

Für mich wäre eine Welt, in der eine ausreichende Portion gesunder Menschenverstand die ganzen starren Regeln und Vorschriften einfach ersetzen würde viel besser und viel flexibler.

Wenn du etwas kannst, dann darfst Du das auch machen und wenn Du Dir nicht sicher bist kannst du entscheiden ob man es gefahrlos ausprobieren kann oder besser die Finger davonlässt.

Ja ja, ich weiß, dass es in der Realität so nicht funktioniert, siehe den glorreichen Spruch:

Es gibt einen Wettlauf zwischen Programmierern, die immer idiotensichere Programme schreiben und dem Universum, das versucht immer größere Idioten hervorzubringen.

Deshalb sehe ich auch, dass die Verbote dafür gut sind um die ganzen Idioten vor sich selbst zu schützen. Was im Falle von Corona leider nicht funktioniert weil die Idioten ohne Maske und Abstand gegen die Verbote demonstrieren. Und wenn ich innerhalb von fünf Minuten gleich drei Mal mit Idiotie und idiotischen Fragen belämmert werde sehe ich ja auch wie die Realität funktioniert. Aber es kann mir niemand verbieten mir eine Welt vorzustellen wo das alles ganz anders ist. Die Frage stellt sich nur: Was würde ich machen wenn ich mir einen neuen Job suchen müsste? Im Moment kann ich ja meinem Tausendsassa-Dasein nachgehen. Auf der anderen Seite habe ich noch niemals eine Stellenanzeige gefunden wo jemand mit meinen Fähigkeiten gesucht werden würde. Das dürfte aber daran liegen dass niemand davon ausgeht dass es so jemanden wie mich am freien Arbeitsmarkt überhaupt gibt, genauso wie es keine arbeitssuchenden Küchenmonteure gibt die all das können was ich kann. Wenn ich mir einen Job suchen müsste, dann fällt mir spontan eigentlich nur Adam Savage ein: Einfach damit anfangen was man interessant findet und sich dann in bester xNTP-Manier von Job zu Job treiben lassen und auf dem Weg möglichst viele verschiedene Sachen zu machen. Man muss sich dann nur die Chefs suchen die auch mit so einem Mitarbeiter überhaupt etwas anfangen können. Was eben bei der Mehrheit funktioniert - detaillierte Arbeitsvorschriften zu machen - ist für einen Tausendsassa eben Gift.

Und dazu fällt mir auch gleich wieder ein Buch von Laurence Dahners ein: Vaz. Die Geschichte handelt von einem verrückten, ziemlich autistischen Wissenschaftler der in einer Technologiefirma arbeitet und wenn er auf ein interessantes Phänomen stößt verfolgt er das weiter auch wenn er eigentlich an etwas anderem arbeiten sollte. Und dabei erfindet er eben jede Menge neue Sachen. Als dann der alte Chef in den Ruhestand geht sagt er seinem Nachfolger noch dass er auf Vaz achten soll, das sei ein wertvoller Mitarbeiter und ihm Freiraum geben soll. Das ist aber jemand der in typischer CEO-Manier genaue Ziele vorgeben will die diszipliniert eingehalten werden sollen. Als Vaz dann zu mehr oder weniger beliebigen Zeiten in seinem Labor arbeitet oder auch mal ein Nickerchen oder einen Workout macht (weil er dabei nachdenkt) und auch nicht an dem arbeitet was ihm vorgegeben ist wirft der neue Chef ihn raus. Der Dialog danach zwischen dem alten und dem neuen Chef ist köstlich: "Sie haben gerade die Gans geschlachtet die goldene Eier legt! 80% des Firmenumsatzes beruhen auf seinen Erfindungen! Holen Sie ihn zurück, egal wie! Verdoppeln Sie sein Gehalt! Vervierfachen Sie es! Wir haben ihn sowieso lächerlich unterbezahlt. Feuern Sie sich selbst wenn das nötig ist!" Einfach nur köstlich ...

Trackbacks

Keine Trackbacks

Kommentare

Ansicht der Kommentare: Linear | Verschachtelt

Noch keine Kommentare

Kommentar schreiben

Umschließende Sterne heben ein Wort hervor (*wort*), per _wort_ kann ein Wort unterstrichen werden.
Standard-Text Smilies wie :-) und ;-) werden zu Bildern konvertiert.
Die angegebene E-Mail-Adresse wird nicht dargestellt, sondern nur für eventuelle Benachrichtigungen verwendet.
Formular-Optionen

Sie können auch über neue Kommentare informiert werden ohne einen zu verfassen. Bitte geben Sie ihre email-Adresse unten ein.