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Randbereiche der Gesellschaft

Wenn man morgens die Zeitung aufschlägt dann lebt unsereiner ständig in einer Art Deja-Vu und auch der ganze Blog hier dreht sich mehr oder weniger um den einen Effekt. Betrachtet man die Gesellschaft als ganzes, dann findet man sich eben am Rand wieder:

Standardnormalverteilung
Standardnormalverteilung von M. W. Toews CC BY 2.5, Link

Es lässt sich natürlich unmöglich genau beziffern wo, aber irgendwo in dem Bereich wo 95% oder gar 99% der Menschen einfach eine andere Denkweise haben könnte hinhauen, also zwischen zwei und drei Sigma (σ). Und das über die verschiedenen Aspekte hinweg, sei es Intelligenz oder Einkommen oder Persönlichkeitstyp, Beziehungsverhalten ... gibt wohl nicht viel wo ich mich selbst als Durchschnitt bezeichnen würde. Durchschnittlicher Autofahrer vielleicht.

Und alles lässt sich dann mehr oder weniger auf diesen Randeffekt zurückführen. Ein paar Beispiele:

Ich bin ja bekanntermaßen ein Atomkraft-Befürworter. Nach Abwägung einer großen Menge von Information (soll ich minutiös erklären wie die Bedienungsmannschaft den RBMK in Tschernobyl gesprengt hat?) ist das der einzig vernünftige Energieträger für die absehbare Zukunft. Wieviele sind gegen Atomkraft? 80% ? 90% ? Und wieviele haben keine Ahnung davon? Randbereich eben.

Oder nehmen wir den CDU-Parteivorsitz. Wer hat das Rennen gemacht? Natürlich derjenige der für die fette Mitte der Glockenkurve am akzeptabelsten war, Onkel Laschet. Friedrich Merz ist ohne Frage ein schwer auszustehender Typ, aber er hat Profil und einen Plan und ist kantig und nicht weichgespült. Wenn der Merz durch eine runde Türe gehen muss, ist die nachher eckig. Bei der SPD lief es übrigens genauso und deshalb gibt es keine fähigen Politiker mit Profil mehr, alles der dicken Mitte geopfert.

Oder nehmen wir mein chronisches Beziehungsproblem. Ist man sapio- oder demisexuell und steht dann noch auf einen Typ der auch jenseits der drei Sigma zu finden ist ist es eben dünn. Nur die LGBT-Szene hat es geschafft, ihren Platz am Rand in die Mitte des gesellschaftlichen Bewusstseins zu rücken. Wie viele Transgender oder divers oder was-was-weiß-ich-für-eine Orientierung gibt es prozentual? (Wikipedia sagt ca. 0,35%) Aber jetzt muss dieser Rand fast überall berücksichtigt werden, von den Toiletten bis zu den Stellenanzeigen.

Beruflich nicht viel anders: Wie viele Menschen entscheiden sich für die Selbstständigkeit? Der fette, fette Bauch der Standardnormalverteilung "geht schaffen" und mit der Stempelkarte bleiben auch die Probleme in der Firma zurück.

Es können aber auch banale Dinge sein wie der Musikgeschmack. Wie viele sind da so breit gefächert von Bach über Beethoven, Dvorak, Ragtime, Boogie, klassische Rockmusik bis hin zu Symphonic Metal?

Beim IQ kann ich es ziemlich genau beziffern, da liege ich bei 96%.

Oder wie wäre es mit der Fähigkeit sich das zu machen was man braucht? Ich verstehe ja, dass es sich für die meisten Privatanwender nicht lohnt, eine CNC-Fräse oder einen 3D-Drucker zu Hause zu haben. Einen PC dürften aber die Meisten haben und Fusion360 ist für den Privatanwender immer noch kostenlos. Wenn also jemand meiner Mitarbeiter wollte, könnte er mit einer fertigen Druckdatei kommen und ich würde nur das Verbrauchsmaterial berechnen. Kam aber noch keiner auf die Idee.

Überhaupt Computer: Das Verhältnis zwischen Programmierern und Anwendern dürfte auch so im Bereich jenseits der 3σ liegen. Unschwer zu raten zu welcher Gruppe ich gehöre.

Im künstlerischen Bereich ist es auch wieder ähnlich. Wobei hier die Besonderheit gilt, dass nur der ganz extreme Rand eine entsprechende Aufmerksamkeit bekommt und man da mit 3σ zwischen allen Stühlen hängt. Zu viel um zum Durchschnitt zu gehören und zu wenig um davon zu profitieren und anerkannt zu werden, das galt als Fotograf genauso wie als Komponist.

Was ich mich nur frage: warum schaffen es manche Splittergruppen so viel Aufmerksamkeit in der Gesellschaft zu bekommen, während andere im besten Fall ignoriert, oft ausgegrenzt oder eben manchmal diskriminiert werden? Profifussballer gibt es Deutschland nicht so viele, dafür werden sie regelrecht angehimmelt und bekommen auch in Corona-Zeiten eine Extrawurst. Den "Erfolg" der Trans- Cis- oder was-weis-ich-Gender und ihren erfolgreichen Kampf für eigene Toiletten habe ich ja schon erwähnt. Die körperlich behinderten haben überall ihre Behindertenparkplätze, nur dass ich noch nie jemanden dort anhalten und auf den Rollstuhl habe umsteigen sehen. Es sind auf jeden Fall weniger als eine Million Berechtigte mit außergewöhnlicher Gehbehinderung, Blind oder Hilflos-Eintrag im Schwerbehindertenausweis. Die Behinderten haben sich auch in der Schule mit der Pflicht zur Inklusion erfolgreich durchgesetzt, ob das nun sinnvoll ist jemanden im Unterricht zu haben der dem Lerninhalt nicht folgen kann sei mal dahingestellt.

Auf der anderen Seite gibt es Gruppen über die niemand spricht und die eben oft ausgegrenzt werden. Das autistische Spektrum ist so ein Fall. Wikipedia nennt etwa 2% als Häufigkeit und das sind nur die diagnostizierten Fälle. Wenn man wie ich wohl nicht ganz bei einer klinischen Asperger-Diagnose liegt dann kommen da wohl noch einige dazu. Weil das aber das Sozialverhalten beeinflusst, wird man eben sozial ausgegrenzt weil man sich nicht an die Normen hält. Weil diejenigen aber nichts dafür können müsste ja eigentlich das Gegenteil der Fall sein, dass die Gesellschaft eben auf diejenigen besondere Rücksicht nimmt. Witzigerweise ist das wegen Corona ja tatsächlich der Fall, alle jammern wegen der Einschränkungen herum und die Autisten freuen sich endlich mal in Ruhe gelassen zu werden.

Sobald sich jemand aber nur um einen Hauch antisemitisch äußert ist sofort allgemeine Entrüstung da. Ich musste es tatsächlich nachsehen, aber es gibt in Deutschland nur ca. 100.000 Juden, das sind nur etwas mehr als ein Promille. Was haben die was ich nicht habe? Einen Freibrief zwar nicht - Michel Friedman ist genauso hart gefallen wie andere prominente Kokser - aber der Präsident des Zentralrats der Juden ist ein mächtiges Sprachrohr.

In manchen Bereichen wird es ganz extrem: Es gibt in Deutschland nur eine Handvoll Vorstände der Automobilindustrie, aber wenn die husten bekommt Frau Merkel Kopfschmerzen. Und es gibt eine Abwrackprämie. Bei den restlichen 1,8 Millionen Selbstständigen mit Beschäftigten - das sind gerade 4% der Erwerbstätigen - hält sich die Anteilnahme der Politik in Grenzen und in der öffentlichen Meinung ist der Unternehmer sowieso der Abkassierer auf Kosten seiner Angestellten. Logischerweise darf man sich jetzt mit einer neuen Version der Entsenderichtlinie herumschlagen die die Arbeitnehmer nochmal besser schützt. Nur gäbe es ohne die Unternehmer gar keine Arbeitnehmer und deren Schutz hält sich stark in Grenzen, mal abgesehen davon dass diese dank des progressiven Steuersatzes einen überdurchschnittlichen Anteil am Steueraufkommen leisten. Die wenigen Großkonzerne haben nur den niedrigen Körperschaftssteuersatz und dann sowieso noch Tochterfirmen in Steueroasen.

Das alles lässt nur einen Schluss zu: Während die Verteilung einer typischen Glockenkurve folgt, sieht die Kurve der gesellschaftlichen Akzeptanz und/oder Einflussnahme etwa so aus:

Akzeptanzkurve
Akzeptanzkurve von Eigenschaften relativ zur Normalverteilung

Und da fällt mir ein ... so eine Kurve habe ich schon mal gesehen, und zwar hier: INTPMom: The uncanny valley of toddler food preferences. (Wikipedia: Uncanny Valley) Kurz gesagt: Menschen neigen dazu, etwas zu akzeptieren was der erwarteten Norm entspricht. Wenn es um einen gewissen Grad von der Norm abweicht erzeugt das eine immanente Ablehnung. Wenn die Abweichung aber groß genug ist, kehrt sich dieser Trend wieder um. Dadurch formt die Kurve ein Tal und genau in diesem Tal stecke ich so ziemlich bei allem was ich mache.

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