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Im Vakuum

Die Tötung des iranischen Generals Soleimani zieht immer noch weite Kreise, auch bei den Leserbriefen in der Zeitung. Der Tenor ist überwiegend, dass es sich hierbei um einen verwerflichen Akt handelt. Ich habe mir jetzt mal Gedanken gemacht, wie dieser Fall rechtlich-moralisch einzuordnen ist und bin zu dem Entschluss gekommen dass man hier gar keine Meinung vertreten kann.

Maarten van Heemskerck: Justitia (1556)
Maarten van Heemskerck: Justitia (1556)

Das rechtsstaatliche Prinzip ist klar: niemand ist schuldig wenn er nicht vor ein ordentliches Gericht gestellt wird, was bedeutet dass auch der Beklagte vor Gericht erscheinen muss um verurteilt werden zu können. Das Völkerrecht ist da genauso eindeutig und verbietet Angehörige anderer Länder ohne vorangehende Aggression zu töten. Nur: wenn man sich beide Grundsätze genauer betrachtet, dann finden die Handlungen aller Beteiligten in einem rechtsfreien Vakuum statt. Soleimani war sicherlich moralisch nicht unschuldig wenn er im Auftrag des Iran die verschiedenen (Terror-)Organisationen unterstützt und koordiniert hat die wiederum für Rechtsverletzungen verantwortlich waren. Trump ist genauso nicht unschuldig wenn der den Typen liquidieren lässt.

Aber lässt sich das Rechtsstaatsprinzip überhaupt hier anwenden? Sowohl der Iran als auch die USA würden ihre jeweiligen Beschuldigten niemals einer internationalen Gerichtsbarkeit unterwerfen, denn diese hat keine über-hoheitliche, weltweite Gewalt um bei allen angezeigten Rechtsverletzungen zu ermitteln und die beschuldigten Personen zu verhaften und einem Gericht vorzuführen. Das wäre zwar wünschenswert, wird auf absehbare Zeit aber ein Wunschtraum bleiben, da dies ja einen Eingriff in die nationale Souveränität bedeutet. Die USA hätten zwar Soleimani vor einem US-Militärgericht in Abwesenheit zum Tode durch Rakete verurteilen können, das ist aber genauso eine Farce wie wenn die Iraner Trump verurteilen würden. Beide Handlungen gewinnen dadurch keine wirkliche Rechtskraft. Und wenn Trump nicht rechtskräftig in dieser Sache verurteilt ist, ist er eben auch im rechtlichen Sinne nicht schuldig.

Jetzt gibt es ja noch die große Moralkeule die man schwingen kann. Frei nach dem Motto: Wenn man Demokrat ist, dann darf man dieses Vakuum nicht auf diese Weise ausnützen. Das Problem an der Moralkeule ist aber das diese Keule ziemlich groß ist und bei Gebrauch einen Riesenkrater macht. In diesem Fall: Wenn man so einen Typen laufen lässt, macht man sich dann nicht an seinen Taten mitschuldig? Diese Keule wird ja mit Vorliebe gegen die Deutschen oder von den Deutschen gegen sich selber in Bezug auf die Nazi-Verbrechen geschwungen. Nicht weil sie an den Verbrechen beteiligt waren sondern weil sie sie zugelassen haben. Und auch bei dieser Betrachtungsweise hat die Keule effektiv alle Beteiligen niedergestreckt und kann deshalb von niemandem mehr zu Recht geschwungen werden.

Gehen wir also einen Schritt weiter und nehmen wir einmal an, dass es eine super-nationale, effektive Gerichtsbarkeit gibt die alle Vergehen verfolgt und bestraft. Die Frage ist aber, ob das sozialer Konsens ist? Alle die jetzt eifrig nicken, sollten mal zurückdenken und sich überlegen ob sie jemals das P-Wort in den Mund genommen haben: Petze. Oder in anderem Sprachgebrauch, nicht schöner: Denunziant. Was macht so ein Mensch und warum wird er sozial geächtet? Genau, er sorgt dafür, dass ansonsten unbemerkte Vergehen der Gerichtsbarkeit bekannt gemacht werden. Eigentlich müssten diese Menschen die dafür ihren sozialen Status riskieren als Helden des Rechtsstaates betrachtet werden - genau das Gegenteil ist der Fall. Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger, dass der Rechtsstaat als solches auch nur eine Fiktion ist weil er vom Sozialverhalten der Menschen nicht gedeckt ist. In anderer Betrachtungsweise: Auch die Richter sind Menschen und damit per Definition nicht blind und neutral wie Justitia dargestellt wird. Recht hat immer einen politischen Einschlag. Auf ganz kleiner Ebene zwischen einfachen Bürgern mag es ja noch funktionieren, aber schon eine Größenordnung höher - wenn der jeweilige Staat beteiligt ist - ist er nur noch eine Illusion. Ich habe das selbst erlebt als ich als Bürger versucht habe den Staat für etwas haftbar zu machen. Als Bürger muss ich praktisch immer für ein Fehlverhalten haften, als Staat nur noch in Ausnahmefällen und zwischen Staaten passiert nichts. Wenn man denn nicht gerade einen Krieg verloren hat und die Sieger dann Justiz üben - das ist aber per se Siegerjustiz.

Das Ganze hat was mit Grundlagenphysik gemeinsam: Die Kräfte und Theoriegebilde die auf einer Größenordnung anwendbar sind, gelten in einer anderen Größenordnungen nicht mehr. Als Mensch können mir die starke Kernkraft und die Gravitation reichlich egal sein. Auf der Ebene des Atomkerns und des Sonnensystems spielen diese fundamentale Rollen.

Wenn es also daraus einen Schluss zu ziehen gibt: Auf internationaler Ebene ist der Rechtsstaat wie wir ihn kennen sowieso nicht anwendbar, wir haben einen Raum in dem das Recht des Stärkeren gilt. Trump kann genauso wie die Iraner so viele Menschen töten bzw. Terroristen unterstützen bis die Schwelle für eine Kriegserklärung überschritten ist. Und diese Latte liegt reichlich hoch, wenn man sich mal die fiktive Situation vorstellt in der der Iran Hillary Clinton oder Nancy Pelosi liquidieren lässt. Würde Trump dafür tatsächlich gegen den Iran in den Krieg ziehen? Dem Menschen wäre noch zuzutrauen dass er sich bedankt ... und im Gegenzug geht der Iran bei seinen Aktionen eben nur so weit dass die möglichen Reaktionen der USA noch nicht wirklich wehtun. Es wäre schön wenn Staaten genauso wie alle Menschen einheitlichen Rechtsvorschriften unterworfen wären, aber das ist auf absehbare Zeit wegen der menschlichen Natur illusorisch. Und alle die jetzt die Moralkeule schwingen sind nach den gleichen Moralvorstellungen eben unwürdig sie zu schwingen.

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Kommentare

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Ronja am :

Folgenden Kommentar wollte ich eigentlich unter "Weihnachtsdepression" und "Datenschutz..."...gedöns posten, was aber irgendwie ncijt funktioniert, also versuch ich es hier...

Ich akzeptiere dich hiermit offiziell als vollwertiges Mitglied der Gruppe der Nicht-dazupassenden! Das mag wenig helfen, aber ich kann dir sagen, mir geht es sehr ähnlich (bin INFJ) und ich nehme über den Blog Kontakt zu dir auf - wohoo, es funktioniert doch! :-)

Christine am :

Lieber Stephan!
Leider muss ich dir sagen, das es auch bei den kleinen Leuten im Gericht nicht klappt. Die persönliche Schubladen werden hier weit geöffnet und alles was nicht niet unf nagelfest ist hineingesteckt. Dabei ist ganz egal wie viele Beweise es gegen das Schubladen Denken gibt in jedem Fall. Ja es sind nur Menschen, die, die Entscheidungen treffen, Aber: Egal, wie und wo wir sind woher wir stammen und was wir denken etc
Sollte doch die Würde des Menschen unantastbar sein! Mein Eindruck ist ein anderer: Vor dem Gerichtssaal gibt man seine Würde ab, und im Saal ist dann davon nichts mehr übrig!
LG Christine

Christine am :

Lieber Stephan!
Du schreibst, daß es hier eine Plattform sein soll. Du weisst auch, daß Du hier auch für Dich schreibst, und das ist schon mal gut!
Zum einen, ich wusste nichts davon, daß dieser Blog existiert, somit kann man daraus schließen, daß viele (fast alle) auch nichts davon wissen. Das macht aber nichts. Du verfolgt ja damit nicht das Ziel Massen zu unterhalten! Genauso wie die Zeit keine Massenunterhaltung ist, sondern Qualität für den Kenner! (musste ich auch abbestellen, trotz guter Qualität) jetzt könnte die Zeit also mehr darüber Jammern!! Dein Blog ist für ein ausgewähltes Publikum! Und da es autobiographisch ist, ist der Ausschnitt der Bevölkerung, der dir folgen kann kleiner! Nichts desto trotz gibt es ihn! Nur Massen werden es nie werden!! Deshalb schau auf die die da sind, und nicht die, die nicht da sind! Trauere auch nicht zu sehr denjenigen nach, die "gegangen" sind! Für die war es halt nichts! Wenn du mal auf einer Bühne gestanden hast, hast du auch das Problem. Du kannst nicht einschätzen, wenn die Leute keine Reaktion zeigen, die du verstehst, was sie über deinen Auftritt denken! Erst wenn das Feedback kommt, kannst du tatsächlich etwas sagen!
Nachdem ich diese Situationen gut kenne, und weiss mit welchen Zweifeln man da konfrontiert ist, gebe ich dir gerne ein Feedback durch meine Kommentare!
Aber bedenke immer: es muss nicht irgendwelche Reaktionen kommen! In erster Linie tust du das für dich und in zweiter Linie für die, die ähnliche Erfahrungen haben!! Halte daran fest, wenn es mal wieder hart wird und keiner dir Feedback gibt!!
LG Christine

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