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Mitternacht in Tschernobyl

Tschernobyl Block 4 nach der Explosion
Tschernobyl Block 4 nach der Explosion

Eines der Bücher die ich mir zu Weihnachten gekauft habe ist Mitternacht in Tschernobyl von Adam Higginbotham. Das Buch ist sehr interessant und gut geschrieben und auf eine bestimmte Art und Weise auch bestürzend. Zum einen beschreibt es sehr anschaulich die Verhältnisse im real existierenden Sozialismus der UdSSR wo es völlig normal war nach oben zu buckeln und nach unten herumzupfuschen um das praktisch unmögliche Planziel zu erfüllen. Man kann doch nicht wirklich etwas bauen wenn man jedes neue Teil vor dem Einbau erst einmal einer "planmäßigen vorinbetriebnamlichen Instandsetzung" unterziehen muss weil es von der Fabrik aus erstmal funktionsuntüchtig ist. Und ein Reaktortyp in Serie geht bevor der Prototyp überhaupt fertiggestellt ist und der wiederum von einem völlig unzuverlässigen Vorgänger abstammt.

Aber weil nun eben jeder darauf bedacht war gegenüber seinen Vorgesetzten und der Partei ein möglichst gutes Licht abzugeben wurde alles mögliche vertuscht und die Resourcen für eine echte Neuentwicklung waren nicht da. Weil der Plan eben so und so viele Kraftwerke bis zum Jahr X vorsah mussten die eben gebaut werden. Und wenn eine Kommission die Schwachstellen des Reaktors gefunden hat war das Untersuchungsergebnis dann geheim so dass die verantwortlichen Techniker die Gefahr gar nicht kannten. Und wenn es ein Update der Betriebsvorschriften gab dann war das wirkungslos weil der sowjetische Techniker es gewohnt war die Vorschriften zu ignorieren wenn es der Vorgesetzte verlangte.

Dass das Ding dann in die Luft geflogen ist wundert mich nach der Lektüre gar nicht mehr. Es erinnert irgendwie auch an die Dampflokomotivenexplosion in Bitterfeld in der real existierenden DDR: Der Besatzung ist damals das Wasser ausgegangen und der Kessel überhitzte. Man hätte die Situation noch retten können wenn man das Feuer sofort gelöscht und angehalten hätte. Dies hätte dann aber den Unmut der Vorgesetzten und Spott der Kollegen bedeutet und so sind die beiden weitergefahren, im Bahnhof beim Bremsen schwappte das Restwasser auf die ausgeglühte Feuerbüchsdecke und der Thermoschock war zu viel für das Material und der Kessel explodierte. In Tschernobyl ist dem Reaktoringenieur die Leistung zu tief abgesunken und normalerweise hätte man dann den Reaktor sofort ganz herunterfahren müssen. Auch hier hätte der verpasste Test dann Konsequenzen gehabt und deshalb wurde der Reaktor wieder hochgekitzelt und der Test trotzdem durchgeführt der bei dieser Konstellation unweigerlich zur Explosion führen musste.

Schwer vorstellbar das so etwas in Deutschland (West) vorgekommen wäre wenn ich mir die besondere Liebe der Deutschen zu den Vorschriften so ansehe.

Nach der Explosion haben die Leute vor Ort dann ziemlich kopflos reagiert und für Stunden gar nicht geglaubt dass Reaktor vier gar nicht mehr da ist. Dabei ist die Geschichte der vier Männer die losgeschickt wurden nach dem Reaktor zu sehen höchst tragisch: Sie tasten sich im Dunkeln mit einer Taschenlampe durch den Dampf und Rauch bis zu einer Panzertüre. Einer bleibt zurück und hält die Türe mit der Schulter offen, die anderen drei schauen statt in den Reaktorraum in das Loch wo mal der Reaktor war und bekommen in kürzester Zeit eine tödliche Dosis Gammastrahlung ab - stark genug damit die Luft ein blaues Leuchten bekommt. Sie halten den vierten Mann aber davon ab selbst nachzusehen und das rettet ihm das Leben, wenn auch nur knapp. Die Türe war hochkontaminiert und die Partikel blieben an seiner Schulter für längere Zeit und verursachten schlimme Strahlenschäden durch Betastrahlung. In Fukushima war es aber nicht besser, da die Operatoren der Meinung waren dass man die Reaktoren wieder anfahren könne, dabei hat sich ja in allen eine Kernschmelze entwickelt, wenn auch nicht in derart katastrophalem Ausmaß.

Bestürzend an dem Buch ist dann die Beschreibung der Folgen, der Einsatz der Menschen vor Ort im Kampf gegen die ausgetretene Radioaktivität. Im Endeffekt wurden tausende Quadratkilometer für den Menschen unbewohnbar.

Wenn ich mir das so betrachte dann wird man doch nachdenklich. Es ist kein Geheimnis und in früheren Artikeln nachzulesen dass ich in der Atomkraft den einzigen Ausweg aus der Klimakatastrophe sehe und ich habe jetzt noch einmal darüber nachgedacht. Es gibt aber keine Alternative: Wenn sich das Tempo der Maßnahmen nicht grundlegend ändert wird es unmöglich den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu halten und wahrscheinlich werden auch die zwei Grad überschritten. Alleine ein Präsident Trump wird nichts dagegen unternehmen und seine Chancen für eine Wiederwahl sind sogar recht gut. Und selbst ein australischer Premierminister dessen Land gerade abfackelt will nur Maßnahmen umsetzen die der Wirtschaft nicht schaden. Die daraus resultierende Umweltkatastrophe wird aber weit mehr als ein paar tausend Quadratkilometer unbewohnbar machen und das ist genauso unabwendbar wie die Explosion in dem Moment wo in Tschernobyl die Turbinen-Schnellschlussventile für den Test geschlossen wurden. Das einzige was man machen kann ist eben einen neuen Reaktortyp zu bauen bei dem es auch bei der schlimmsten denkbaren Verkettung von Umständen zu keiner Radioaktivitätsfreisetzung kommen kann. Ich habe übrigens sowohl an Thorcon als auch an die Erfinder des Dual-Fluid-Reaktor geschrieben und um Informationen darüber gebeten was passiert wenn bei diesen Flüssigsalzreaktoren Wasser in den Drainagetank gerät … wenn das dann kritisch wird dann gibt es ein echtes Problem. Bisher noch keine Antwort, warten wir es ab. Normalerweise gehört da ja kein Wasser hin aber sowohl in Tschernobyl als auch in Fukushima war bisher immer Wasser überall da wo es nicht hingehört hat.

Was ich auch nicht begreifen kann: Im Sperrgebiet standen die ganzen verstrahlten Fahrzeuge und es haben sich tatsächlich Idioten gefunden die diese geplündert und damit die Radioaktivität nur noch weiter verteilt haben - genauso wie die geplünderten Wohnungen in Pripyat.

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